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Kultur: Auf ins Land der hellen Gesichter

Feridun Zaimoglu erzählt in seinem monumentalen Roman „Leyla“ die Vorgeschichte des deutsch-türkischen Miteinanders

In Schwaben müssen Muslime die Kehrwoche einhalten. Das nennt man Leitkultur. Wer würde an der Verbindlichkeit von so etwas zweifeln – man kann es allerdings schlecht german way of life nennen, also nennt man es Leitkultur. Natürlich gehört ein bisschen Goethe und Schiller auch dazu. Was aber die Multikulturalität anbelangt, müsste ihr Gelingen als gesellschaftliches Ziel ebenso selbstverständlich sein wie die Akzeptanz einer wie auch immer emphatisch oder nüchtern verstandenen Leitkultur. Nimmt man den Teilbegriff „-kultur“ wörtlich, dann wird schnell klar, dass es sich eher um gegenseitige Einflussnahme handelt: Sprachstile fließen ineinander, man fühlt sich kulturell und subkulturell zu Hause, wenn man die Ursprungskulturen schöpferisch weiterentwickelt hat.

Kronzeuge dieser gesamtgesellschaftlichen Veränderung ist der deutschsprachige Schriftsteller Feridun Zaimoglu. 1964 im anatolischen Bolu geboren, wurde er 1995 bekannt durch sein Buch „Kanak Sprak“, in dem er die deutsch-türkische Sprachbeeinflussung phonetisch mit Leben erfüllte. In Lesungen und Talkshows konnte man erleben, mit was für einem eminenten Sprachtalent man es hier zu tun hatte. Meist dirigiert Zaimoglu sein durchrhythmisiertes Sprechen mit der rechten Hand. 2003 wurde in München seine und Günter Senkels Shakespeare- Anverwandlung „Othello“ aufgeführt. 2005 führte Zaimoglu eine Kunstaktion mit der Kunsthalle Wien durch, bei der er das Gebäude mit Hunderten von türkischen Fahnen verpackte.

In Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb hatte 2003 Zaimoglu mit der anrührenden Geschichte „Häute“ den zweiten Preis gewonnen. In dieser fein austarierten Geschichte schilderte er die Begegnung eines „Deutschländers“ mit seinen Wurzeln in der Türkei. Seinen monumentalen 500-Seiten-Roman „Leyla“ könnte man als die Ausarbeitung, die Vorgeschichte von „Häute“ beschreiben. Dieser Familien-autobiografische Roman bewegt sich im sprachlichen Horizont der „Häute“ und entwirft ein Panorama des Lebens in der anatolischen Provinz und später in Istanbul.

Der Zaimoglu der früheren Phase begegnet einem hier wieder in den harten, gnadenlosen Schilderungen von seelischer und körperlicher Gewalt. Erzählt wird die Lebens- und Leidensgeschichte der Mutter Leyla in den fünfziger, sechziger Jahren, die als jüngstes von vier Geschwistern in einem anatolischen Nest unter der Knute eines grausamen und herrschsüchtigen Vaters aufwächst, den sie distanzierend nur den „Nährvater“ oder den „Mann meiner Mutter“ nennt. „Am liebsten würde er uns zum Betteln in die große Stadt Istanbul schicken; er hat es satt, die Münder zu stopfen, er hat es satt, uns atmen zu lassen. Sein Wille geschieht, Demut und Gehorsam.“

Zaimoglu gelingt das Kunststück, fast durchgehend aus der Perspektive des Mädchens und später der jungen Frau zu erzählen. Allerdings verzichtet er auf den in „Zwölf Gramm Glück“ vorhandenen konstruktiven Ehrgeiz. Umso mehr erreicht Zaimoglu durch das Atmosphärische in der Schilderung der ärmlichen anatolischen Provinz: „Nach dem Regen kriechen die Endzeittiere aus Ritzen und Erdlöchern, münzgroße gelbe Flecken auf schwarzer Haut, sie recken ihre Echsenköpfe in die Sonne, sie baden im Licht. Nähe fürchten sie nicht, man kann auf sie zugehen, doch bevor man sie berühren kann, schießen sie blitzschnell weg. Salamanderzeit. Ein Zeichen.“

In der Schule zeigt Leyla ein außergewöhnliches Erzähltalent. Die gute Schülerin will nichts sehnlicher, als aus dem Familiengefängnis ausbrechen. Ihr Vater quält sie beim Arztbesuch, als eine Mandelentzündung festgestellt wird: „Ein Loch ausgraben kann ich schon selber, sagt Halid lächelnd, und ich kann dieses Loch auch wieder zuschütten.“

Später in Istanbul rebellieren die studierenden Söhne gegen den Vater. Nach strenger Sitte entscheiden Leylas Eltern über die Heirat mit „dem Schönen“, mit Metin. Die Brautwerbungsszene gelingt Zaimoglu zum Kabinettstück. Der Vater beleidigt den zukünftigen Schwiegervater, der für seinen Sohn um Leylas Hand anhält und behauptet: „Noch einmal, ich habe keine Tochter zu vergeben, sagt Halid, Sie sehen mich reden, Sie verstehen aber kein Wort – sind Sie taub?“ Die emanzipierte Großtante sorgt dafür, dass die Heirat schließlich doch zustande kommt.

Leyla wird schwanger, Metin träumt von einer Arbeitsstelle in Deutschland, siedelt aus und verspricht seiner Frau, sie und das noch namenlose Kind nachzuholen. Metin schwärmt von Deutschland: „Die Menschen dort haben nicht so dunkle Gesichter wie wir, sie sind mit einem hellen Schein und einem hellen Glanz gesegnet. Sie greifen nicht gleich zum Messer, wenn ein Streit ausbricht. Sie riechen alle nach Seife. Und wenn man auf ihren Straßen geht, knirscht kein kleiner Müll unter den Schuhsohlen. Der Sandwich fällt dir aus der Hand? Du kannst es von Boden aufheben und es unbesorgt essen. Die Keime sind ausgerottet. Ein schönes Land ist das.“

Leyla und Metin müssen noch viele Desillusionierungen durchmachen, bevor sie sich von Halid, dem bösen Vater, freimachen können und schließlich in Deutschland eine neue Heimat finden. Der Roman endet in den 70er Jahren auf dem Münchner Hauptbahnhof, als Leyla, ihre Mutter und der kleine Sohn endlich damit beginnen können, ein neues Leben in Deutschland zu führen.

Deutschland ist vor allem das Land, in dem sich alle an die Regeln halten: „Aber wichtig sind die Regeln. Jeder hält sich an die Regeln. Das ist der Unterschied. Die Menschen legen aber auch einen großen Wert auf Abstand. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen.“ Hier zeigt sich die multikulturelle Dynamik: In einem System zu leben, ist umso lebenswerter, je besser die überkulturellen Regeln des Zusammenlebens eingehalten werden, unabhängig vom kulturellen oder religiösen Schema. Der Vater ist islamisch wie christlich gesehen ein böser „Nährvater“.

Zaimoglu gelingt eine anrührende Schilderung seiner Familiengeschichte, die zwischen westlichem Lebensstil und ländlich-türkischer Tradition fast aufgerieben wird. In nur zwei Generationen fand mit der Ankunft und Integration der Gastarbeiter in Deutschland eine soziale Wandlung statt – nicht nur für die „Gäste“, sondern auch ihre „Gastgeber“. Feridun Zaimoglu ist eine starke Stimme in der deutschen Literatur: als Chronist der Wandlung einer Nation ins Multikulturelle sogar die stärkste.

Feridun Zaimoglu: Leyla. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 528 Seiten, 22,90 €.

1964 wird Feridun Zaimoglu im türkischen Bolu geboren. Aufgewachsen in Berlin, München und Bonn, lebt er seit 1985 in Kiel. Er studiert Humanmedizin und arbeitet heute als Schriftsteller, Drehbuchautor, Dramatiker und Journalist.

Schon mit seinem ersten Buch Kanak Sprak (1995) wird er zum Kultautor; der Film „Kanak Attack“, die Verfilmung seines Romans „Abschaum“ kommt 2000 in die deutschen Kinos.

1998 Drehbuchpreis des Landes Schleswig-Holstein, 2002 Friedrich-Hebbel-Preis und 2005 der Adelbert-von- Chamisso-Preis , die höchste Auszeichnung für deutsch schreibende Migranten. Im Frühjahr 2005 erregt seine Fahneninstallation KanakAttack. Die dritte Türkenbelagerung? an der Fassade der Kunsthalle Wien Aufsehen.

Marius Meller

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