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Kultur: Auf Kreuzchenfahrt

Alle Welt verreist. Nur in den Parteizentralen herrscht Hochsaison. Heute: die

Wer sein Schiff liebt, der schiebt. Fitzcarraldo zum Beispiel. Klaus Kinski in Werner Herzogs Dschungelfilm. Da muss der Kahn über den Berg. Eine fatale Unternehmung. Deutschlands Christdemokraten hatten geringere Hindernisse zu überwinden mit ihrer Berliner Parteizentrale. Kein Amazonas in der Nähe, nur der Landwehrkanal. Glas, so weit das Auge reicht. Schön, aber nicht unproblematisch in seiner Symbolik. Wer im Glashaus sitzt, Frau Kanzlerkandidatin, soll nicht mit Steinen werfen!? Fragte nicht vor Jahren Peter Glotz: „Sind die Tanker modernisierbar, oder müssen sie einfach ins Schiffsmuseum?“ Der Herr mit der Denkerstirn ist zwar von der SPD, aber die hat schließlich auch eine bootsmäßige Zentrale in Berlin.

Zunächst einmal (so beginnt fast jedes Politikerstatement) muss festgestellt werden, dass die Glasfassade bei der CDU nicht der Transparenz dient, sondern als Puffer gegen Lärm und andere Umweltbelästigungen. Eine raffinierte Form der Abschottung. Damit ist die Tankerfrage von Glotz aber noch nicht beantwortet. Er meint die Volksparteien. Auch wieder ein komisches Wort. Werden Grüne, FDP, PDS usw. nicht vom Volk gewählt? Es geht also um die großen Volksparteien, und davon gibt es demnächst vielleicht nur noch eine, wenn man 25 oder 30 Prozent als Wasserscheide zwischen Volksparteien und sonstigen nimmt.

Auf dem Klingelhöferdreieck in Tiergarten war nach dem Zweiten Weltkrieg Brache. Und dann und wann ein Volksfest. Hier zeigt sich der tiefere Grund der bootsmäßigen Bebauung. Auf der Kommandobrücke basteln sie jetzt an einem Wahlprogramm, das den Schluss der sozialstaatlichen Lustbarkeiten zu verkünden hat. Aber wir sind ja nicht auf der Titanic. Wer die Wahl gewinnen will, setzt keine Eisberge sozialer Kälte ins Wasser.

In der modernen Architektur – Le Corbusier, Oscar Niemeyer (der Brasilianer baut in Potsdam ein Spaßbad) – ist das maritime Motiv ein Klassiker. Beton in Bewegung, das war mal revolutionär. Längst aber sitzen die Schiffsbauten auf dem Trockenen. Das Silbersegel auf dem Kantdreieck, was sagt es uns? Dass die westliche City nicht in den Himmel wächst und nächstes Jahr auch noch vom ICE-Verkehr abgekoppelt wird. Oder das nautische Innenleben der neuen Akademie der Künste am Pariser Platz – ein Schiffskörper ohne Bug und Heck. Und ohne Dampf.

Tuuut-Tuuuuut. Unter den Schiffssimulatoren der Hauptstadt ist die CDUZentrale der modernste. Kein altmodischer Vergnügungsdampfer, vielmehr ein Kreuzfahrtschiff der jüngsten Generation. Die sind so groß, dass man vor lauter Masten keine Wellen mehr sieht. Auf diesen schwimmenden Resorts hat man jede Ablenkung und vergisst, wo man herumgeschoben wird; in der Ostsee, im Mittelmeer, in der Karibik. Oder daheim, bei den Leichtmatrosen. Am 18. September wird eingecheckt.

Rüdiger Schaper

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