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Kultur: Auf Ponys gegen Prolls

Schlechter Geschmack, große Pläne: Ein Besuch bei der Elektropunkband Die Toten Crackhuren im Kofferraum

Wer dachte, Berliner Jugendliche sind schon lange nicht mehr „punk“ und studieren jetzt alle BWL, um mit Mitte Zwanzig die deutsche Normfamilie zu gründen, könnte sich noch wundern. Denn die vier- bis achtköpfige Berliner Elektro-Anarcho-Combo Die Toten Crackhuren im Kofferraum (T.C.H.I.K) macht sich derzeit auf, gestriegelten Castingbands das Fürchten zu lehren. Als Vorband der Berliner Rapper K.I.Z ist die Bad-Taste-Truppe erstmals aufgefallen. Jetzt stehen Konzerte und im Sommer eine neue Platte an.

Die Crackhuren haben sich im „Studio Kitsune“ versammelt. Es liegt im angesagten Teil von Nordneukölln, der sich in den letzten Jahren ein trendiges Mäntelchen übergeworfen hat. In den weitläufigen Lofträumen des Studios kreieren Labels wie Royal Bunker Hip-Hop-Beats, außerdem werden hier Filme produziert und Castings veranstaltet. Während Musiker und Medienmenschen aller Couleur lässig in T-Shirts und Jeans durch die Lofträume bummeln, sitzen vier der Girls, Luise Fuckface (22), Netja Triebeltäter (20), Kristeenager (20) und Stehfanje (21), schrill geschminkt, mit „Crackhuren“-Shirts und Haarsträhnchen auf einem speckigen Ledersofa, scherzen und gackern fröhlich vor sich hin.

Wie viele Mitglieder die Band hat, ist nicht abschließend geklärt. Zurzeit sind „es vier bis acht und drei süße Boys“, sagt Luise Fuckface, die sich selbst als „Mastermind“ der Band bezeichnet. Die stetige Fluktuation in der Band ist leicht erklärt: „Mal muss jemand arbeiten, mal ist jemand schwanger, immer kommt was dazwischen.“ Neben den flotten Sprüchen und den grellen Outfits gehören zu den Markenzeichen der Band ein breites Berlinern, der inflationäre Gebrauch von Kraftausdrücken und der ständige Verweis auf die eigene Asozialität. Ganz so, wie es sich für „Crackhuren“ gehört. Dabei gehen die meisten der Mädchen doch recht bürgerlichen Tätigkeiten nach: Einige studieren, Netja arbeitet mit behinderten Kindern – so behauptet sie zumindest unter dem schallendem Gelächter der Übrigen.

Gegründet wurde die Band im Jahr 2007 von Luise, Schrüppe Macintosh und Lynn Love. Am 25. Juni soll nach zwei Platten, die sie im Eigenverlag rausbrachten, das dritte Album erscheinen – diesmal bei einem Major-Label. Titel: „Jung, talentlos und gecastet“. Und gecastet wurden sie tatsächlich, „gegen ihren Willen“, wie sie versichern. Nach einer Show der Band Fickscheiße (heute: Beta) sprach sie Techno-Urgestein und Publizist Jürgen Laarmann an und versprach ihnen „schnellen Ruhm“. Musikalisch bieten die Crackhuren harte, tanzbare Elektrobeats á la Mediengruppe Telekommander, mit Gesangspassagen, die in ihrer Rotzigkeit an die frühen Mia.-Alben erinnern. Einfache punkige Harmonien laden zum Mitgröhlen ein. Neben den Huren selbst zeichnen Produzenten wie der Berliner Musikmanager Beat Gottwald (K.I.Z.), Lorenz Rueegsegger vom Label Mädchenmusik und Archi Alert, der frühere Sänger der Funpunkband Terrorgruppe, für die Tracks verantwortlich.

Das anarchische Bandethos der Crackhuren beschreibt Kristeenager so: „Man macht irgendwas und schaut, was dabei rauskommt, es gibt kein konkretes Ziel, letztendlich ist es dann halt da.“ Parallelen zur Riot-Grrrl-Bewegung der neunziger Jahre sind nicht zufällig. Damals rockten Frauenbands wie Bikini Kill und Sleater-Kinney mit Punkattitüde und feministischen Parolen gegen die männliche Dominanz in der Musikwelt an. Trotz der obligaten Anti-Haltung gegen so ziemlich alles machen die Crackhuren jedoch wenig Aufhebens um Politik. Ihre Rebellion ist spielerisch und Teil einer durch und durch ironisierten Trash-Maskerade. Das System greifen sie nur dort an, wo es keinen Spaß macht. Auch um Emanzipation scheren sie sich wenig, denn wozu um etwas kämpfen, was man längst und wie selbstverständlich lebt?

Ihre Texte bezeichnen sie als „pubertierende Tagebuchpoesie“: „Wir schreiben über Mädchenthemen und verarschen sie“, sagt Luise Fuckface. So nehmen sie zum Beispiel Castingshows und ihre Schönheitsideale ins Fadenkreuz. „Wir hassen Sport“ heißt der selbstbewusste Konter der Band gegen den TV-Fitnesswahn. Genervt zeigen sie sich auf die Reaktionen zu ihrem Lied „Ich und mein Pony“. Aufgrund der Textpassage „Ich und mein Pony, sein Name ist Jonny, wir reiten Richtung Sonnenuntergang“ mutmaßten Journalisten, es könne es sich bei Jonny um eine tatsächlich existierende Person handeln. „Alles Blödsinn“, sagt Luise Fuckface empört. „Das Lied hab ich geschrieben, weil ich einmal in einem Video mit einem Pony reiten wollte.“

Eines ihrer Lieblingsfeindbilder ist der „Brandenburger Proll“, ein solariumgebräunter Dorfdödel, der den ganzen Tag an Tankstellen rumhängt und mit seinem tiefergelegten Auto betrunken zum Bowlen fährt. Ein Klischee, das ihrer Meinung nach allzu oft wahr ist. Zwar wohnen sie alle jetzt in Berliner WGs, einige von ihnen haben aber früher auf dem Land gelebt. Die Befürchtung, dass eben diese Klientel ihre Musik mögen könnte, ist schon eingetroffen, sagen sie. Ist ihnen aber egal: „Wir können ja niemandem verbieten, unsere Musik gut zu finden“. Gute Voraussetzung, um reich und berühmt zu werden.

Konzert: Sa. 1.5., 22 Uhr

im Magnet Club, Falckensteinstraße 48

Lars Dittmer

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