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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Murmel auf der Bobbahn

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Sonntag, 23 Uhr 35, Gäste: Michael Krüger, Barbara Vinken). 10) Timur Vermes: Er ist wieder da (Eichborn Verlag, 400 S.

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Sonntag, 23 Uhr 35, Gäste: Michael Krüger, Barbara Vinken).

10) Timur Vermes: Er ist wieder da

(Eichborn Verlag, 400 S., 19,33 €)

„Ja – leider!“, möchte man auf den Titel antworten, steht dieser öde Quatsch über eine Wiederauferstehung Hitlers im heutigen Berlin doch immer noch auf der Bestsellerliste. Bloß wieso hält sich ein derart einfallslos zusammengepfuschter Naziporno dort so lange? Einen plausiblen Grund vermag ich nicht anzugeben.

9) Henning Mankell: Mord im Herbst (Deutsch von Wolfgang Butt, Zsolnay

Verlag , 144 S., 15,90 €)

Der melancholische Kommissar Wallander möchte ein Haus kaufen und stolpert im Garten über die Hand einer Leiche: Ausgangspunkt für einen kleinen Krimi um einen lange zurückliegenden Vatermord, den Mankell vor zehn Jahren für eine Werbeaktion des holländischen Buchhandels schrieb. Eine literarische Auftragsarbeit von Meisterhand: solide Unterhaltungsliteratur, nicht mehr, nicht weniger.

8) Stephen King: Doktor Sleep (Deutsch von Bernhard Kleinschmid, Heyne Verlag, 704 S., 22,99 €)

Aller Schrecken stammt aus unserer Kindheit. Niemand weiß das besser als der erfindungsreiche Schreckensmeister Stephen King, der in seiner grandiosen Fortsetzung von „Shining“ den inzwischen erwachsenen Danny Torrance zum hellsichtigen Sterbehospizler macht und ihn in einen Showdown am Overlook Hotel mit den Dämonen seiner Kindheit schickt. King ist der Charles Dickens unserer Zeit, und so langsam beginnt sich das sogar in den bornierteren Rängen der deutschen Literaturkritik herumzusprechen. Ein später Triumph – aber ein Triumph.

7) Jussi Adler-Olsen: Erwartung (Deutsch von Hannes Thiess, Deutscher Taschenbuch Verlag, 576 S., 19,90 €)

So krude manipuliert wie in diesem dänischen Krimi um Korruption in Dänemark, Klau-Kids in Göteborg und Armut in Afrika habe ich mich lange nicht mehr in einem Text gefühlt. „Erwartung“ ist die Wiederkehr der guten alten Agitprop-Literatur in modernem Gewand. Adler-Olsen erzählt skandinavisch-sozialdemokratischen Edelkitsch in Reinform: das Gelsenkirchener Barock der Kriminalliteratur. Oder wie Homer Simpson sagen würde: „Langweilig!“

6) Jo Nesbø: Koma (Deutsch von Günther Frauenlob, Ullstein Verlag, 624S., 22,99 €)

Der Polizeipräsident: ein schwerkrimineller Karrierist. Die Sozialsenatorin: eine sexbesessene Drogendealerin, die sich gern vom Polizeipräsidenten bespringen lässt. Das ist erst der Anfang von Jo Nesbøs Serienkrimi, dessen Höhepunkt keineswegs die Hochzeit des Helden Harry Hole ist, sondern die Beschreibung, wie eine Kriminalkommissarin einen Gefängnisinsassen dazu bringt, wichtige Informationen herauszurücken: „Sie blieb stehen. Sah ihn an. Hob die rechte Hand und suchte ihre Brustwarze unter dem dünnen BH-Stoff. Nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Kniff zu. Ignorierte den stechenden Schmerz. Blieb stehen. Aufrecht. Blut strömte in die Warze und machte sie steif. Sie ließ ihn schauen und hörte seinen Atem schneller werden.“ Mein Atem wurde bei dieser maustoten Krimikonfektionsware immer langsamer.

5) Suzanne Collins: Die Tribute von Panem – Flammender Zorn (Deutsch von Hanna Hörl, Sylke Hachmeister und Peter Klöss, Oettinger Verlag, 430 S., 19,90 €)

Auf der Bestsellerliste sicher nur wegen der aktuellen Kinoverfilmung, dennoch ein verflixt vielschichtiges Jugendbuch, das in Form einer Dystopie unterhaltsam vor den Gefahren von Mediendemokratie und Unterhaltungswahn warnt.

4) Elizabeth George: Nur eine böse Tat (Deutsch von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann, Goldmann, 864 S., 24,99 €)

Eigentlich bin ich der Amerikanerin Elizabeth George verfallen, seit sie in ihren Krimis um den britischen Adeligen Inspektor Thomas Lynley und dessen Assistentin Barbara Havers alle Prätendenten um den Thron Dorothy L. Sayers’ und ihres Ermittlers Lord Peter Whimsey ausgebootet hat. Aber was George nach dem Tod von Lynleys Ehefrau Helen mit ihrem Serienpersonal anstellt, ist fast so schmerzhaft medioker wie Uderzos Asterix-Bände ohne René Goscinny.

3) Robert Galbraith: Der Ruf des Kuckucks (Deutsch von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz, Blanvale, 640 S., 22,99 €)

Vor einem Jahr habe ich J. K. Rowling zu Hause in Edinburgh gefragt, ob sie je daran gedacht habe, einen Roman unter Pseudonym zu veröffentlichen. An der Antwort der berühmtesten Autorin der Welt könnte man Staatsanwälte schulen. Dies trifft auch auf den unter Robert Galbraith veröffentlichten Krimi zu, in dem die gewitzte Mrs. Rowling von Hass unter Geschwistern, einer dysfunktionalen Familie und dem vermeintlichen Selbstmord eines Topmodels erzählt. Der unterschenkelamputierte Privatdetektiv Cormoran Strike und seine Assistentin Robin können durchaus in Serie gehen.

2) Khaled Hosseini: Traumsammler (Deutsch von Henning Ahrens, S. Fischer Verlag, 448 S. 19,99 €)

Die Familiensaga um ein in Afghanistan getrenntes Geschwisterpaar ist reiner Ethnokitsch, geschrieben in gnadenlosem Redundanzstil: „Die Welt seines Vaters war gnadenlos. Man bekam darin nichts geschenkt. Nicht einmal Liebe. Man musste für alles bezahlen, und wenn man arm war, war Leiden die Währung.“ Leiden löst in mir als Leser auch dieser sterile, politisch korrekte Hirnkleister aus.

1) Jonas Jonasson: Die Analphabetin, die rechnen konnte (Deutsch von Wibke Kuhn, Carl’s Books, 448 S., 19,99 €)

Die Geschichte über ein sagenhaft talentiertes Mädchen, das aus Soweto ins reiche Schweden gelangt und dort zur China-Expertin und Dolmetscherin wird, die die Dinge schon übersetzt, ehe sie ausgesprochen werden, besitzt irrwitzigen Drive. Doch weil ferner noch eine Drei- Megatonnen-Atombombe und die internationale Diplomatie ins Spiel kommen, erinnert der Roman an eine Murmel, die eine Bobbahn hinunterflitzt. Ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag; aber Spaß macht’s zweifellos.

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