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Kultur: Aus dem Land der zornigen Winde

2. BERLINER WINTERSALON

Sechs Wochen lang reisten die mongolischen Jurten mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Berlin – und tragen ein Baugeheimnis mit sich, das für europäische Handwerker schwer zu verstehen ist: Keinen Nagel, keine Schraube darf verwendet, das Gerüst muss gesteckt und gebunden werden. Fluchend versucht eine Gruppe von Männern, die drei winzigen, bunt verzierten Rundhäuser aus Holz und Ziegenfell in der High-Tech-Welt des Sony-Centers am Potsdamer Platz aufzubauen. Ach, wäre doch eine der Nomadenfamilien hier, die ihr Haus, das auf zwei Pferderücken passt, angeblich in einer Stunde aufbauen können!

Jetzt endlich stehen die zeltähnlichen Jurten unter dem futuristischen Sony-Glasdach. In ihrem Inneren findet noch bis zum Sonntag der „2. Berliner Wintersalon“ statt – ein Lesemarathon , bei dem 30 Autorinnen und Autoren von 12 Uhr mittags bis Mitternacht jeweils zur vollen Stunde aus ihren Werken lesen: Romane, Erzählungen, Lyrik, Sach-, Kinder- und Jugendbücher.

Galsan Tschinag, Schamane und Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa, gehört zu den Autoren des Wintersalons. Er ist ein Reisender zwischen den Welten: Viele Monate im Jahr verbringt er als Nomade bei seinem Stamm in der russischen Republik Altai an der mongolischen Grenze. Aber er schreibt in deutscher Sprache und fährt für seine Buchvorstellungen immer wieder ins westliche Ausland. In Berlin liest er aus seinem im letzten Jahr erschienenen Buch „Tau und Gras“ Geschichten, die von seiner Kindheit in der Mongolei erzählen. In Zusammenarbeit mit der Völkerkundlerin Amélie Schenk hat er „Im Land der zornigen Winde“ (beide Bücher im Unionsverlag) geschrieben – eine Liebeserklärung an das Nomadenleben, aus der Amélie Schenk Passagen vorträgt.

Andreas Schlüter, der mit seinen Kinderbüchern bereits hinter Joanne K. Rowling (Harry Potter) und Cornelia Funke auf der Bestsellerliste stand, lässt sein quirliges „Fehlerteufel-Mädchen“ Mörfi durch die Jurten tanzen. Zoran Drvenkar beschreibt das Aufwachsen in der Großstadt, Horst Petri sucht nach den Werten, die die Gesellschaft Jugendlichen vorenthält, Steffen Jacobs liest „komische und ernste, gereimte und ungereimte Liebesgedichte“, und Tanja Dückers stellt den Roman „Himmelskörper“ vor, der im Frühjahr im Aufbau-Verlag erscheint. Viele Preisträger finden sich unter den Autoren, aber auch unbekannte Schriftsteller.

Britta Gansebohm, verantwortlich für die Programmgestaltung, wählte Autoren aus, deren Schreibstil sie mochte. Die Mittdreißigerin unterhält einen der angesagtesten Literatursalons der Hauptstadt: das stets mit Samt und Rosen geschmückte „Podewil“ in der Klosterstraße, wo sich zwei Mal im Monat Literaten und Studenten, Architekten, Ärzte und Lebenskünstler bei Wein und Kerzenschein zur Diskussion treffen.

In einer der drei Jurten findet das Kinder- und Jugendprogramm statt. In der anderen kommen Erwachsene auf ihre Kosten, die dritte ist die „Infojurte“. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung aber ratsam. Und noch ein Tipp: Nicht die Mitte einer Jurte betreten – nach altem mongolischen Glauben entweicht die Seele sonst durch das Ofenloch im Zeltdach.

Noch bis zum 2. Februar , weitere Informationen unter www.sonycenter.de/jurten , oder Tel. 030-25751613

Julia Ziegler

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