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Salon in der Schillerstraße 15. Unter dem pragmatischen Titel „So machen wir das!“ hat der Galerist Alexander Ochs die beide Künstler Young-Jae Lee und Chris Newman zu sich nach Hause eingeladen.

© Marcus Schneider

Ausstellung bei Alexander Ochs: Aus der Tiefe der Erinnerung

Ost trifft West, Konkretes auf Abstraktes: Bei Alexander Ochs begegnen sich die koreanische Keramikerin Young-Jae Lee und der britische Maler Chris Newman.

Diese Ausstellung schärft die Sinne und erweitert sie. Zwei völlig verschiedenartige Künstler, aus west- und fernöstlichem Kulturraum stammend, hat der Kunstsammler, Kurator und Galerist Alexander Ochs in seinen Charlottenburger Privaträumen, in denen er seit einiger Zeit seine exklusiven Ausstellungen arrangiert, miteinander in einen Dialog gebracht – ein Dialog, der keinerlei konkretes Thema hat, sondern in dieser Gegenüberstellung, in diesem Neben- und Miteinander, in der Eigenart des jeweiligen Mediums der Künstler selbst besteht.

Chris Newmans Bilder muss man gleichsam mit den Ohren sehen, um den feinen Linien, den Andeutungen einer Figur, einer Form wie leisesten Tönen zu folgen und dem zu lauschen, was kaum mehr sichtbar unter den weiß übermalten Flächen der Leinwand liegt. Bei den Vasen, Schalen und Gefäßen der südkoreanischen Künstlerin Young-Jae Lee hingegen wird das Sehen förmlich zum Tasten, so sinnlich und gleichzeitig unberührbar in ihrer vollendeten Schlichtheit und meditativen Ruhe bieten sie sich dar.

Dem eigenen Herzschlag folgen

Chris Newman, in London aufgewachsen, seit Jahren in Berlin lebend und längst kein Unbekannter mehr, begann zunächst als Musiker, studierte bei Mauricio Kagel in Köln, bevor er auch zur Malerei fand. Er, ein Erbe John Cages, der ebenso komponiert wie dichtet und schreibt, zeigt hier vor allem seine Übermalungen, die durch das Auftragen einer weißen, „Gesso“ genannten Grundierfarbe entstehen, einer speziellen Kreide- und Leimmischung, die bereits die Ägypter als Verschlussfarbe für ihre Mumiensärge verwandten.

Mit dieser Farbe hat er in seinen jüngsten Arbeiten sowohl eigene (abstrakte) Bilder aus früheren Jahren wie auch Bilder anderer Künstler, etwa von Felix Vallotton überdeckt, die durch diese Schicht zuweilen noch durchschimmern, womöglich im neu entstehenden Bild mehr oder weniger sichtbar ein narratives oder stützendes Element hinzufügen. Meist aber ohne architektonische Verbindlichkeit, das heißt ohne klare Begrenzungen von Fläche und Raum. (Alle Bilder zwischen 4000 und 12 000 Euro) Ob man solche Vorlage erkennt, ist zufällig, und dem irritierten, nach Verstehen suchenden Betrachter bleibt nichts als in diesem sinn-offenen Feld der Linien und Andeutungen, der plötzlich wie aus Gedächtnistiefen auftauchenden Figuren, zum Beispiel von Beatrix Potters heiteren Kinderbuch-Mäusen, seinem eigenen Lauschen, Erinnern und Herzschlag zu folgen.

Verborgene Zuordnung von Farben und Tönen

Hat man diesen Mangel an Klarheit, Orientierung und Sinn akzeptiert – denn auch Bildtitel als Sinnstütze gibt es nicht – macht dies frei, frei von allen Zwängen von Deuten und Bedeutung. Dann wird das Sehen und Lauschen und Entdecken zum Gewinn. Unendlich anziehend in seinem Geheimnis ein Bild, auf dem aus zwei überaus fein gezeichneten bergigen Begrenzungslinien oben wie unten kleine Zacken ragen – man denkt an zuckende Notenlinien oder ein leicht verzogenes Enzephalogramm. Dazwischen dehnt sich ein zartgelb getöntes Feld, bis man in den kleinen „Zacken“ auch Vogelköpfe erkennt und die Pfeif-, Gurr- und Zwitschersprache der Vögel zu vernehmen meint. Was kann Kunst mehr? Um später, nach langem Graben im Gedächtnis, sich vielleicht an ein Bild des Belgiers René Magritte zu erinnern: ein Vogel, groß, dessen Kopf aus einer Bergwand wächst – mit jener charakteristischen Linie, die hier in minimalistischer Wiederholung wiederkehrt.

Zugleich fragt man sich, was Newmans Übermalungen unterscheidet von denen anderer, etwa von dem Österreicher Arnulf Rainer, ihrem provozierenden Initiator, oder auch von denen der Berliner Künstlerin Rebecca Raue. Das hat mit der jeweiligen Technik zu tun, die immer auch eine Haltung und persönliche Neigung ausdrückt. Was Newmans Übermalungen kennzeichnet, bei denen einfache oder auch mehrere Gesso-Schichten einander überlagern, wo manchmal der Rahmen erst nachträglich unter die ihn überkragende Leinwand geschoben ist und mitunter Rotwein und Senf das Farbmaterial ergänzen – was sie charakterisiert, ist die Spannung innerhalb der weißen Fläche selbst und dem wenigen, was wie Strandgut darin auftaucht, oder, musikalisch ausgedrückt, zwischen der Stille, ihrem Weiß und den Resten von Klang und Laut darin.

Mehrere kleine, auf den ersten Blick anders geartete, expressiv und dynamisch mit dickem Pinsel entworfene Bilder, die sein Klavier oder den Klavierraum zeigen (3800 Euro), geben indirekt einen Hinweis auf die verborgene Zuordnung von Farben und Tönen: auf das synästhetische Bündnis der Sinne, das Chris Newman als Maler und Komponist und Dichter einzugehen scheint oder welches seine Anlage ihm auferlegt. In ihm wirken die Medien wortgemäß „medial“ zueinander, und die Bewegung des Künstlers darin gleicht einer fortgesetzten Ton-Suche, bei der Räume und Zeiten, erinnerte Vergangenheit und imaginierte Zukunft sich verweben.

Young-Lae Lee verbindet Handwerk und Kunst

Hier findet sie ihren Kontrapunkt in den schlichten „irdenen“ Gefäßen von Young-Lae Lee. Seit vielen Jahren leitet die aus Seoul gebürtige, international bekannte Künstlerin die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe in Essen. Vasen und Schalen, Gefäße aus Ton sind Urgegenstände der Menschheit und als solche Urformen jeder Kultur. In ihnen verbindet sich das Handwerk mit Kunst, der Alltag mit seiner kulturellen Formung: schöpfen und ausgießen, aufnehmen und (aus)schenken, Fülle und Leere – ein tägliches Spiel zwischen Konkav und Konvex, das in unseren Händen, die das Gefäß umfassen, vorgebildet ist.

Dieses in den asiatischen Ländern bis heute hoch angesehene Handwerk ist eine Art Schwester der Kalligraphie, die auch im Zen eine Rolle spielt, und deren Wesen die Absichtslosigkeit ist. Der Pfeil des Bogenschützen, der Pinsel des Malers, die formende Hand, die ohne zu „zielen“ trifft. Ein wiederkehrender flammender Fleck auf den Schalen (alle Gefäße zwischen 650 und 8000 Euro) erscheint wie das meditative dritte Auge darin. Wie jener Ton, zu dessen mehrsinniger Suche der Dialog beider Künstler den Betrachter hier einlädt.

Alexander Ochs private, Schillerstr. 15, bis 5. 11.; Di bis Fr 12 – 18 Uhr, Sa 10 – 14 Uhr.

Marleen Stoessel

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