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Kultur: Aus Schutt geborgen

Der Scharnhorst-Schatz: Antiquitätenhändler Harry Beyer gibt dem DHM ein Dokument zurück

Auf elf maschinengeschriebenen Seiten hat der Münchner Antiquitätenhändler Harry Beyer sein Leben notizenhaft zusammengefasst. „Da steht eigentlich alles drin, was Sie wissen wollen“, eröffnet er das Gespräch. Jahreszahlen stehen da, die eng mit Episoden bewegender Zeitgeschichte Deutschlands verwoben sind. Eine dieser Geschichten, die allesamt wie Preziosen eines Antiquitätenladens erscheinen, beginnt 1945 – und findet nun, 61 Jahre später, ihre Vollendung.

Berlin, 15. Mai 1945: Beyer, 1930 als Sohn eines Fuhrmannes in Berlin geboren, beobachtet als 15-Jähriger, wie russische Soldaten Kunstschätze aus dem Zeughaus Unter den Linden in Lastwagen verladen und wie etwas rot-silbrig Glänzendes auf den Schutt fällt und unbemerkt liegen bleibt. Beyer hüllt den Gegenstand heimlich in einen Lappen und rennt mit dem Fund davon.

Was er gefunden hatte, war ein kleiner Schatz: als humanistisch geschulter und schon damals Antiquitäten liebender Schüler erkannte er, dass er die Scharnhorst-Dokumente in den Händen hielt: einen Adelsbrief für Obrist-Lieutenant Gerhard David Scharnhorst (1755–1813), mit Signum von König Friedrich Wilhelm von 1802, dazu eine Urkunde zur Wappenergänzung durch zwei Preußische Adler von 1836 sowie eine Ehrenurkunde der Berliner Universität von König Friedrich Wilhelm IV. von 1853. 61 Jahre später schenkte Beyer nun am Dienstag seinen Fund, der in Fachkreisen als verloren galt, der ständigen Ausstellung „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen“ im Historischen Museum, die am 3. Juni eröffnet wird.

Warum die Rückgabe erst jetzt? Für Beyer, der sich als „Finder und Bewahrer“ antiker Kunst bezeichnet, stand fest: Solange „das Zeughaus auf dem Boden der DDR“ stand, waren die Kunstschätze in Gefahr. „Denen stand diese Kunst nicht zu, das waren Preußenverächter“. Das hatte er selbst erfahren: Sein Traum vom Kunsthändler begann 1949 im Sowjetsektor Berlins. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann stellte er einen Antrag zur Gewerbeerlaubnis für den offiziellen Handel mit Kunst und Antiquitäten – die jedoch wurde ihm verweigert, da kein „volkswirtschaftliches Interesse“ bestand. „Das roch denen zu sehr nach Kapitalismus“, sagt Beyer. Er fühlt sich zusehends eingeengt und flieht 1959 in den Westsektor Berlins; in der Hosentasche schleust er Stück für Stück seiner Sammlerstücke über die Grenze.

Doch West-Berlin bietet nicht die erwarteten Möglichkeiten. „Alles, was mit deutscher Vergangenheit belastet schien, war Tabu“, beschreibt Beyer das Klima in den 60er Jahren. Was den Deutschen verhasst war, war den Amerikanern hoch willkommen. Sie seien, so Beyer, eigentlich Kunstretter gewesen, weil sie „unseren ganzen Historismus nach Übersee verschifften, der hier sonst verloren gegangen wäre“. Doch bald können die Händler nicht mehr allein vom Export leben, und Beyer beschließt, dem Ausverkauf 1972 mit der Gründung des Freien Verbands Berliner Antiquitätenhändler entgegenzuwirken. Zeitgleich initiiert er die erste Berliner Antiquitätenmesse „Antiqua“. Doch Berlin, resümiert Beyer, „war für den Kunsthandel ausgeblutet“. 1974 verlässt er die Stadt und geht nach München, wo er seitdem sein eigenes Geschäft betreibt. Nun hat er ein Stück Berliner Geschichte zurückgebracht, und es kommt ihm vor: „als wäre ich nie weg gewesen“.

Britta Richter

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