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Vorleser

© Berlinale

AUSSER KONKURRENZ: Die Liebe, ein Schattenspiel

Oscar-nominiert: Stephen Daldrys Schlink-Verfilmung „Der Vorleser“ läuft auf der Berlinale außer Konkurrenz.

Die Geschichte einer Jugend und der ersten Liebe, in einem noch jungen Land. So fängt das Ganze an – und ist doch eine Reise in eine unheimlich alte, in eine alte, unheimliche Welt. Wir sind zu Beginn der amerikanischen Verfilmung des „Vorlesers“ von Bernhard Schlink am Ende der fünfziger Jahre, in der noch kein Jahrzehnt existierenden Bundesrepublik. Ein Insert nennt den fiktiven Spielort „Neustadt“. Schon das ist eine Pointe, denn die an der deutsch-polnischen Grenze in Görlitz gedrehten Szenen zeigen eine zunächst regengraue, von Vorkriegsdüsternis und Nachkriegsnarben gezeichnete Altstadt. Mit schiefen Kopfsteingassen, rußigen Fassaden, finsteren Torwegen, stockfleckigen Treppenhäusern.

Selbst im professoral-bürgerlichen Milieu des Gymnasiasten Michael Berg hängt jene durch Eichenmöbel, Lederrücken, Sofastoffe gebräunte Schwere zwischen den Wänden und Seelen. Erinnerungen aus einem anderen Jahrhundert. Was in Schlinks Bestseller-Roman unverkennbar des Autors Heimatstadt Heidelberg war, die internationale Universitätsstadt und Sitz des US-Hauptquartiers, führt in Stephen Daldrys Film ein Stück tiefer noch in die Provinz der Deutschen.

Das macht die befremdliche Geschichte auf den ersten Blick noch fremder als im Buch. Und rückt sie gerade dadurch suggestiv näher. Denn es ist eine doppelte Zeitreise, die sich aber erst über die späteren, helleren Bilder aus dem Berlin des wiedervereinigten Deutschlands und einem metropolitanen New York wie zu einer freieren Welt hin öffnet.

So bleibt der Schatten der Nazizeit, der den Umriss zeichnet um Michael Bergs erste, verrückte Liebe von Anfang an gegenwärtig. Trotzdem verrät „The Reader“, der auf Englisch gedrehte und bereits für den Oscar nominierte Film, für Nichtleser des Romans das Geheimnis seiner weiblichen Hauptfigur nicht vor der Zeit. Das liegt auch an Kate Winslet. Sie spielt jenes Fräulein Hanna Schmitz, die 20 Jahre ältere Geliebte des Oberschülers Michael Berg. Er wird ihr nichts ahnender Vorleser, sie ist die gewöhnliche Trambahnschaffnerin, in der sich eine literaturhörige Analphabetin und mörderische ehemalige KZ-Wächterin verbirgt.

Und Kate Winslet, auch sie für den Oscar nominiert, ist neben dem noch nicht zwanzigjährigen David Kross (als Michael Berg) das Ereignis. Während Stephen Daldry Michaels pubertär lüsterne Blicke auf entblößte Schenkel und altmodische Strumpfbänder ebenso wie die nackten Bettszenen mit unverschämter Delikatesse inszeniert, wahren Kross und Winslet eine schöne, die eigene Befremdung nie leugnende Scheu.

Dabei stützt sie auch David Hares dem Roman behutsam folgendes Drehbuch. Kate Winslets Spiel erfüllt diese Hanna, deren Mischung aus Horror und geheimer, analphabetischer Literaturbesessenheit auch etwas (vom Autor Schlink) hoch Konstruiertes hat, mit fast selbstverständlichem Leben. Ihrer Leidenschaft haftet immer auch etwas Verschattetes an, das untergründig Strenge, Starre, Stutzige – und ein Ordnungstrotz, eine Reinlichkeitslust (auch die Schande des Nichtlesenkönnens wegzuwischen), die ihr einst entgleiste. Zum Terror, den sie nicht begreift, was im KZ-Prozess, bei dem der Jurastudent Berg die vergessene Liebe plötzlich wiedersieht, ein spannungsvolles Spiel mit dem Unbegreiflichen ergibt. Glänzend darin Burghart Klaußner als Richter, der die einstige Mörderin, die lebenslange Selbstmörderin vernimmt.

Klugerweise verzichtet der Film, wie das Buch, auf jede rückblendende Nachstellung der Nazizeit. So entsteht der Horror stärker im Kopf. Atmosphärisch dicht wirken dabei die historischen Nachkriegs-Settings, vom vorbeihoppelnden Goggomobil bis zur Straßenbahn mit Holzsitzen, Messinggriffen. Schwächer geraten dagegen die Studentenszenen aus der 68er-Zeit, trotz Bruno Ganz als kauzigem Professor. Auch die Bilder eines KZ-Besuchs, mit blitzenden Verbrennungsöfen, die ein ästhetisiertes Auschwitz suggerieren, gehören zu den hollywoodesken Ausrastern, ebenso wie die vieles verschmalzende Musik.

Am Ende übergibt der gealterte Michael Berg (nunmehr der blasse Profi Ralph Fiennes) Hannas letzten Gruß einer KZ-Überlebenden in New York. Die stellt die Teedose aus der Erbschaft der Täterin ausgerechnet neben das Foto ihrer ermordeten Verwandten. So steht es nicht im Buch. Es ist das fragwürdige Schlussbild eines sonst über Abgründen glückhaften Films.

Freitag, 6. Februar, 12 und 19.30 Uhr (Berlinale Palast), 7. 2., 12 Uhr (Friedrichstadtpalast), 22.30 Uhr (Urania). Kinostart am 26. 2.

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