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Reliquienschrein. Gefäß für den Kopf des hl. Oswald (1185 - 1189).

© Bildarchiv Foto Marburg

Ausstellung: Das lichte Mittelalter

Kunst, die aus dem Süden kam: Das Berliner Bode-Museum zeigt „Schätze des Glaubens“ aus Silber, Gold und Elfenbein.

Der Engel auf dem Medaillon hat eine Hand aufs Herz gelegt. In der anderen hält er das Salbgefäß. Die Bewegung des Gewandes verrät, dass er nur eine flüchtige Erscheinung ist. In dem vergoldeten Kupfermedaillon, das um 1150 im Maasland gefertigt wurde, ist der Gedanke der „Operatio“ ausgedrückt. Mit der Salbung erfährt der Mensch Anteil an der göttlichen Schaffenskraft. Vermutlich hat sich der Künstler vor 850 Jahren auch Gedanken darüber gemacht hat, woher seine eigene Inspiration kommt. Die Fragen der Menschen im Mittelalter rücken nah beim Rundgang durch die Ausstellung „Schätze des Glaubens“ im Bode-Museum. Sie entstand aus einer Verlegenheit heraus. Das Dom-Museum Hildesheim und das Berliner Kunstgewerbemuseum werden umgebaut. Weil beide Häuser ihre Hauptwerke weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich machen wollen, haben sie gemeinsam Asyl auf der Museumsinsel gesucht.

Zwei Jahre lang sind nun die schönsten Beispiele mittelalterlicher Kirchenkunst in einmaliger Dichte zu bewundern. Leider stiefmütterlich im Keller untergebracht. Der Hildesheimer Domschatz gehört zum Weltkulturerbe. Der Welfenschatz wiederum befindet sich seit 1935 im Besitz des Berliner Kunstgewerbemuseums. Letztes Jahr war er unter Raubkunst-Verdacht geraten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz lehnte eine Restitution jedoch ab. Nun werden Hildesheimer Spitzenstücke mit ausgewählten Berliner Kostbarkeiten kombiniert. Zusammen lassen sie eine Epoche funkeln, in der die sakrale Kunst noch mit ihrer Bildsprache experimentiert und nicht zu formelhaften Ansichten erstarrt war.

Der Kurator Lothar Lambacher, Stellvertretender Direktor am Kunstgewerbemuseum, verfolgt drei Erzählstränge. Die Ausstellung beschreibt die Nutzbarmachung antiken Kunsthandwerks zu christlichen Zwecken, sie verfolgt die Entwicklung der Goldschmiedekunst und sie stellt das Menschenbild des Mittelalters vor. Mit erstaunlicher Quirligkeit klettern etwa Gläubige den Schaft des silbernen Bernwardleuchters aus dem Hildesheimer Dom-Schatz empor. Auf einem zweiten Leuchter sabotieren Menschen den Aufstieg, sägen sogar einen Ast vom Baum des Lebens ab. Hier ist die Antike mit ihrer körperbetonten Kultur und ihrem mediterranen Temperament präsent. Der Künstler-Bischof Bernward, dessen Episkopat von 993 bis 1022 dauerte, wollte mit seinen Stiftungen Hildesheim, damals Machtzentrum der Sachsenkaiser, Strahlkraft verleihen. Auch die Große Goldene Madonna, eine der ersten dreidimensionalen Mariendarstellungen, geht auf seine Stiftung zurück. Man kann sich der Autorität dieser Skulptur kaum entziehen.

Das Welfenkreuz, eines der Hauptwerke aus dem Kunstgewerbemuseum, überrascht durch Heiterkeit. Mit leuchtend schwarzen Augen schauen Maria und Johannes die Betrachter an, selbst der gekreuzigte Christus wirkt mit verspielt gestalteten Locken lebendig. Dieser Mittelteil des Kreuzes entstand im 11. Jahrhundert im Süden Italiens unter byzantinischem Einfluss. Todesgenien tragen den Sockel, der als römische Triumphsäule gestaltet ist. Das Kreuz bejubelt die Überwindung des Todes. Das lichte Mittelalter: Die christliche Kunst ist noch durchlässig. Sie zieht antike Versatzstücke heran, um sich historisch zu nobilitieren.

Für ein Reliquiar in Taschenform aus dem Schatz des Stiftes St. Dionysius zu Enger/Herford hat der Handwerksmeister antike Gemmen aus dem 1. Jh. v. Chr. verwendet. Ein Stein zeigt einen Faun, der andere ein Feueropfer. Vorsichtshalber ist die Darstellung auf den Kopf gedreht. Nun wirkt sie abstrakt. Es heißt, Karl der Große habe das vergoldete Reliquiar dem Sachsenführer Widukind geschenkt, nachdem dieser sich 785 hatte taufen lassen.

Im musealen Zusammenhang erscheinen diese Reliquienbehältnisse allerdings befremdlich, auch wenn sie höchste handwerkliche Finesse verraten und ihre Funktion ungewöhnliche künstlerische Lösungen verlangt. Das Kopfreliquiar des heiligen Oswald etwa aus dem Hildesheimer Domschatz wurde um 1185 angefertigt, um das Haupt des geköpften Märtyrers aufzubewahren. Als Gefäßdecke dient ein Baldachin. Diese ungewöhnliche Schirmform wölbt sich auch über dem Kuppelreliquiar aus dem Welfenschatz. Jetzt bietet sich die einmalige Gelegenheit, beide Objekte nebeneinander zu vergleichen.

Weil zum Kirchenschatz immer auch Handschriften gehörten, haben sich die Ausstellungsmacher Kostbarkeiten aus der Staatsbibliothek geliehen. Der Einband des Codex Wittekindeus verwendet Elfenbeinschnitzereien, die Kaiser Otto der Große für seinen Thron im Magdeburger Dom bestellt hatte. Mit großem Ernst erzählen die kleinen Tafeln von den Wundertaten Jesu. Die Sehnsucht nach Linderung spricht aus den gekrümmten Gestalten der Kranken.

Die Besucher stehen vor der Herausforderung, sich nicht vom Reichtum an Gold, Silber und Edelsteinen überwältigen zu lassen, um sich mit dem geistigen Gehalt der Werke auseinanderzusetzen. Denn in dem sichtbaren Glanz des Kirchenschatzes sollte sich unsichtbare Schönheit spiegeln. Die Kunstwerke stellen die alten Fragen: Wie hat alles angefangen? Was kommt nach dem Tod? Warum ist der Mensch in der Lage, sich selbst zu reflektieren? Irritierend an den „Schätzen des Glaubens“: Auch 1000 Jahre später gibt es keine Antworten.

Am Kupfergraben/Monbijou-Brücke, bis 30. 9. 2012, tgl. 10 - 18 Uhr, Do bis 22 Uhr.

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