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©  Maurice Weiss/Ostkreuz

Ausstellung "Das neue Deutschland" in Dresden: Stolz und Vorurteil

Die Ausstellung "Das neue Deutschland" im Dresdener Hygiene-Museum zeigt, wie Migration Deutschland verändert – und bereichert.

Alles ist in Bewegung, und wir alle sind Reisende. Im Dresdner Hygiene-Museum ist aus Sperrholzplatten eine Sicherheitsschleuse wie auf einem Flughafen nachgebaut. Wer sie durchquert, passiert eine Lichtschranke, die ein grünes Licht aufleuchten lässt. Manchmal aber springt ein rotes Licht an und ein schrilles Alarmsignal heult auf: Einreise verweigert. Die Ausstellung, die zu solch theatralischen Mitteln greift, heißt „Das neue Deutschland“ und erzählt von – so der Untertitel – „Migration und Vielfalt“.

Laut einem Bericht der Uno lebten 2013 3,2 Prozent der Weltbevölkerung in einem Land, in dem sie nicht geboren wurden, das sind rund 232 Millionen Menschen. Deutschland ist längst zum Einwanderungsland geworden, nach den USA und Russland ist es der Staat mit den meisten Migranten. Mittlerweile hat jeder fünfte Einwohner eine Migrationsgeschichte. Trotzdem wird den Zuwanderern das Leben schwergemacht, mit Schikanen und einer Politik der Abschreckung. Das erfährt der Ausstellungsbesucher selbst auf recht drastische Weise. Wendet er sich hinter der Sicherheitsschleuse nach rechts, landet er in der Sackgasse eines Asylverfahrens. Dort findet er als mögliches Ende des Verfahrens auch die beiden Optionen „Tod an der Grenze“ oder „Suizid“.

Links hinter der Schleuse warten die Hürden der Bürokratie auf den Besucher, angefangen mit den 13 verschiedenen Titeln, die in Deutschland für Ausländer existieren und jeweils zu einem unterschiedlich langen Aufenthalt berechtigen. An einem Computermonitor kann man probeweise die teilweise absurden Fragen des Einbürgerungstests beantworten. Da wird nicht nur gefragt, welches Wappen zur Bundesrepublik gehört, für wie viele Jahre der Bundestag gewählt wird und was am 9. November 1938 geschah, sondern auch, zu welchem Fest die Deutschen sich kostümieren und schminken. Daneben hängen Bilder von denen, die es geschafft haben: neue Deutsche, die sich zum Einbürgerungsfest in einem Rathaus versammelt haben.

Gleich am Eingang: Die Blaue Moschee aus Ayram-Bechern

„Das neue Deutschland“ ist die erste umfassende Ausstellung in einem deutschen Museum über das Thema Migration, die ganz auf die Gegenwart zielt. Einwanderung bedeutet Bereicherung, diese Botschaft wird nicht per Zeigefinger, sondern beiläufig, mitunter gar ironisch vermittelt. Zu verdanken ist das den Designern vom Raumlabor Berlin, die auf abgegriffene Symbole wie Koffer oder Bahngleise verzichteten und stattdessen auf 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche eine Art Hüttenstadt aus Sperrholz schufen, deren provisorischer Charakter zum Thema passt.

So wird der Besucher gleich am Eingang von einer Skyline aus Umzugskisten begrüßt, die von „Sehnsuchtsorten“ wie einer aus Marshmallows und Dr.-Pepper- Dosen gefertigten Freiheitsstatue oder der Istanbuler Sultan-Ahmed-Moschee aus Milchtüten und Ayram-Bechern überragt wird. In den Details versteckt sich mancher polemischer Seitenhieb. Ausgerechnet aus Ölkanistern und einer Pappwerbung mit der Shell-Muschel ist das Nationaltheater von Lagos nachgebaut, eine Anspielung auf die Hinrichtung des Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa, der gegen die Zerstörung seiner Heimat durch den Mineralölkonzern protestiert hatte. Dass sich einige der Sehnsuchts-Ikonen in Afrika oder Asien befinden, verdeutlicht, dass sich heute weitaus größere Flüchtlings- und Migrationsströme durch die sogenannte Dritte Welt bewegen als etwa durch Europa, das sich in eine hermetisch abgeriegelte Festung verwandelt hat.

In ein paar Jahren wird niemand mehr die Frage stellen, wer woher kommt", meint ein Zuwanderer optimistisch

Den Titel „Das neue Deutschland“ haben sich die Kuratoren Gisela Staupe und Klaus Vogel von den „Zeit“-Redakteurinnen Alice Bota, Khuê Pham und Özlem Topçu geborgt, die 2012 das Buch „Wir neuen Deutschen“ veröffentlichten. Im Essayband, der die Ausstellung begleitet, schreiben die drei Journalistinnen, zu „neuen Deutschen“ mache sie „kein Pass“, sondern ein „Selbstbewusstsein, das wir genährt haben aus Wut und Stolz“: „Wut, weil wir das Gefühl haben, außen vor zu bleiben; weil es ein deutsches Wir gibt, das uns ausgrenzt. Und Stolz, weil wir irgendwann beschlossen haben, unsere eigene Identität zu betonen.“

Es ist eine Ausstellung mit statt über Migranten. Zu den beeindruckendsten Exponaten gehört eine Installation des Berliner Videokünstlers Gary Hurst. Überlebensgroß werden die Gesichter von zehn neuen Dresdnern mit Wurzeln im Westjordanland, Brasilien oder Vietnam an die Wand geworfen, dazu erzählen sie in einer Endlosschleife von ihren Hoffnungen, Enttäuschungen und Träumen. Da beklagt sich einer, dass die Deutschen „so wenig lachen“. Eine andere sagt: „Gesucht habe ich hier nichts, gefunden habe ich die Liebe – mehrmals.“ Und ein Dritter erklärt optimistisch: „In ein paar Jahren wird Deutschland noch multikultureller sein. Deutschland wird diese Fragen nicht mehr stellen, wer woher kommt.“

Die Geschichte von 60 Jahren deutscher Einwanderungsgeschichte wird in einem „Archiv“ genannten Holzhäuschen geschildert, in dem Presse- und Fernsehausschnitte versammelt sind. Noch einmal ist das Foto des Portugiesen Armando Rodrigues de Sá zu sehen, der 1964 bei seiner Ankunft auf dem Kölner Bahnhof als millionster Gastarbeiter mit einem Motorrad des Konstrukteurs Zündapp begrüßt wurde. Die Fremden, da waren die Deutschen sich sicher, würden nur auf Zeit bleiben. So versicherte 1969 ein Arbeitsamt- Funktionär in der „Tagesschau“, dass die Gastarbeiter in Deutschland „industrielle Erfahrungen für ihre Heimat lernen können“. 1973 streikten türkische und italienische Ford-Arbeiter in Köln für bessere Behandlung. Anfang der 90er Jahre erreichte die Asyl-Hysterie einen Höhepunkt, die „Bild“-Zeitung titelte 1992: „Fast jede Minute ein neuer Asylant“. Auf die zunehmende Gewalt gegen Asylbewerber und Zuwanderer reagierte die Politik mit der Aushöhlung des Asylrechts.

"Wirtschaftlich brauchen wir die muslimischen Migranten nicht", schreibt der Volkswirt Thilo Sarrazin. Das ist Unsinn.

„Wir“ gegen „die“, auf diesem Gegensatz beruht Rassismus bis heute. Er beginnt bei der Wortwahl für Alltagsprodukte, wie ein Regal demonstriert, in dem Objekte wie „Kelly’s Zigeuner-Räder – Paprika Style“, der „Haribo Skipper Mix“, dessen Lakritzsstücke afrikanischen, asiatischen und indianischen Gesichtern ähneln, oder dem „Sarotti-Mohr“ zu sehen sind, der allerdings inzwischen „Magier der Sinne“ heißt. Und der Rassismus endet im offenen Hass. Fotos zeigen Neonazi-Aufmärsche und eine Kundgebung der Splitterpartei „Pro NRW“ mit Forderungen wie „Minarettverbot jetzt!“. Gleich daneben steht ein Exemplar von Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Ein Zitat daraus: „Wirtschaftlich brauchen wir die muslimischen Migranten in Europa nicht.“

Das diese These des studierten Volkswirts Unsinn ist, belegt schräg gegenüber ein „Marktplatz“, auf dem in Vitrinen die Erfolgsgeschichten von ausländischen Unternehmen in Deutschland oder der Beitrag von ausländischen Saisonarbeitern zur deutschen Landwirtschaft erläutert werden. Nach Schätzungen trägt jeder Migrant pro Jahr 2000 Euro mehr zu den öffentlichen Haushalten bei, als er daraus entnimmt. Ein Wohlstandsbeitrag, für den die Ausstellung ein schlüssiges Symbol gefunden hat. Ein Plüschesel trägt einen aufgeklebten Bart und einen türkischen Fez. Aus seinem Hintern fallen Golddukaten.

Deutsches Hygiene-Museum Dresden, bis 12. Oktober. Das bei der Konstanz University Press erschienene Begleitbuch (259 Seiten) kostet 24,90 €.

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