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Ausstellung: Gute Reise

Der Film vor dem Film: Die Berliner Kunst-Werke widmen dem Vorspannkino eine Ausstellung. Eins der schönsten musealen Filmerlebnisse der letzten Jahre.

Er ist Notwendigkeit und Kunstwerk in sich, ein Vorgeschmack auf Kommendes und eigenständige Sequenz, Versprechen, Sehnsuchtsmaterial, Vergangenheit und Zukunft zugleich. Und längst auch Nostalgieträger, weshalb Filmnostalgiker wie Quentin Tarantino besonderen Wert auf einen liebevoll ausgearbeiteten Vorspann legen. Er dauert manchmal nur 45 Sekunden, manchmal bis zu fünf Minuten, ein Film vor dem Film, der dem schnöden Zweck dient, möglichst alle vertraglich zugesicherten Filminformationen unterzubringen – und daraus die größtmögliche Freiheit zieht.

Wenn die Berliner Kunst-Werke dem Vorspannkino nun eine Ausstellung widmen, wird daraus eins der schönsten musealen Filmerlebnisse der letzten Jahre. Klassische Filmmuseen geben allzu oft nur der braven historischen Aufarbeitung ihrer Bestände Raum. Den Kunst- Werken geht es hingegen um eine opulente Generaluntersuchung, mit allen Mitteln der Präsentationskunst: ein Kino im Museum, ausgestattet mit alten Klappsitzen, Popcornmaschine, rotem Samtvorhang und Aschenbechern vor den einzelnen Sälen. Auf der Leinwand: Vorspannkino satt, über fünfzig Mal Auftakt, Versprechen, Neubeginn, Meditation über die Möglichkeiten des Kinos. Am Ende ist man viel zu lang geblieben und taumelt ins Freie, den Kopf voller Filme, hungrig und satt zugleich.

Der Wiedererkennungswert ist groß, zwei, drei Bilder, drei, vier Takte: Erkennen Sie den Film? Hier wird, von einigen Ausnahmen abgesehen, der Kanon der Populärkultur ausgebreitet – als amuse geule. Oft steht das Auge im Mittelpunkt des Vorspanns. Das Auge, das sich langsam schließt, in Samuel Becketts Film namens „Film“ von 1965, die Augen in John Frankenheimers „Seconds“ und das berühmte Auge in Alfred Hitchcocks „Vertigo“, das angstvoll umherblickt und sich blutrot füllt, bis aus der Tiefe der Pupille die mesmerisierende Spirale erscheint, der Schwindel, das Grundmotiv des Films.

Pures Sehen, pures Bild ist das Ausgangsmaterial des Vorspanns, der, ohne Dialog, nur mit Schrift, Bild und Musik dem Stummfilmkino treu geblieben ist. Was auch erklärt, dass der Vorspann oft besonders experimentierfreudig, geradezu expressionistisch ist: Die Beschränkung setzt die Fantasie frei. Augen auf!

Oder es gibt nur eine Stimme. Keine Schrift, kein Wort, nur die lakonische Nennung der Schauspielernamen, der Mitwirkenden, des Titels. Legendär der Vorspann zu „The Magnificent Ambersons“, der mit Orson Welles’ einschmeichelnd weicher Stimme endet: „Mein Name ist Orson Welles. Ich habe das Drehbuch geschrieben und Regie geführt.“ Auch Jean-Luc Godard bedient sich in „Le Mepris“ dieser Technik: „C’est un film de Jean-Luc Godard“, heißt es am Schluss. Pier Paolo Pasolini treibt es auf die Spitze, wenn er den Vorspann zu „Uccellacci e uccellini“ singen lässt, in gereimten Versen, vertont von Ennio Morricone.

Spielerei, natürlich. Experiment. Aber auch Zeitdokument. Wie sehr gerade der Vorspann auf der Höhe der Kunst sein will, sieht man bei den Serien. Die berühmten James-Bond-Intros zu „Goldfinger“, „From Russia with Love“ und „Dr. No“. Oder die Vorspann-Sequenzen, die Saul Bass und James S. Pollack für Alfred Hitchcock ersannen. Ein geniales Zusammenspiel aus Ton, Bild und grafischen Elementen: die jalousienartigen Schwarzweißstreifen, die die Titel zu „Psycho“ zerschneiden, die psychedelische Spirale aus „Vertigo“, die Vogelsilhouetten zu Oscar Salas kühlen Elektronikklängen in „Die Vögel“. Grafische Elemente führten vor allem in den Sechzigern zu den coolsten Vorspännen der Kinogeschichte: Pablo Ferros Bildfelder für Norman Jewisons „The Thomas Crown Affair“, die bunten Quadrate von Saul Bass für Billy Wilders „The Seven Year Itch“. Der mit Flughafen-Icons spielende Vorspann zu Spielbergs „Catch Me If You Can“ von 2002 ist eine späte Hommage daran.

Wo kein Dialog ist, wird die Musik umso wichtiger. Mit den Songs der BondThriller, Markenzeichen seit jeher, war der Vorspann ein Vorläufer des Musikclips. Und wenn Martin Scorsese in „Casino“ die Welt zu Bachs Schlusschor aus der Johannespassion in Stücke brechen lässt, ist das ein monumentaler Abgesang auf das ultrabrutale amerikanische Gangsterkino und auf eine Kunstform, die sich unter maximalem Materialaufwand immer wildere Eskapaden gestattete. Bis sie sich nur noch selber zitiert: Im Vorspann zu „Death Proof“ spielt Tarantino mit falschen Inserts und Materialfehlern, während ein nacktes Frauenbein rhythmisch auf dem Armaturenbrett wippt und draußen uramerikanische Landschaft vorbeizieht. Melancholie pur, verlorene Zeit. Es war eine schöne Reise.

Kunst-Werke Auguststr. 69, bis 19. April, Di bis So 12 bis 19, Do bis 21 Uhr.

Christina Tilmann

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