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Ausstellung: Heuschrecken im Paradies

Über die Spielarten der Natur – eine Gruppenausstellung in der Galerie Gerhardsen Gerner zeigt die gesamte Spielbreite.

Eisschollen treiben vor den Fenstern der Galerie, auf der anderen Uferseite dampft das Heizkraftwerk. Über dem Deckengewölbe rumpelt die S-Bahn, witterungsbedingt in unregelmäßigen Abständen. Während die Natur die Stadt zum Holpern bringt, erweist sie sich als Refugium für die Kunst. Im Hamburger Bahnhof pilgern Familien zu den Rentieren, in der Neuen Nationalgalerie hielt uns Willem de Rooij jüngst den Spiegel vor – auch die menschliche Hackordnung entsteht nicht viel anders als auf dem Hühnerhof. Ist es da Zufall, dass die Galerie Gerhardsen Gerner eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Nature“ organisiert? Oder kommt die Natur uns näher, wenn der Verteilungskampf härter wird?

Ein trockenes Klappern erfüllt die Ausstellungsräume. Heuschrecken sind das nicht. Henrik Hakansson hat den Flügelschlag amerikanischer Monarchfalter aufgenommen. Als Schwarm verursachen die Schmetterlinge ein bedrohliches Geknatter (40 000 Euro). In den anderen Werken ruht die Natur in sich selbst und ignoriert souverän das Getöse der Menschen. Darren Almonds Fotografie vom Vollmond in der Eifel wirkt mystisch entrückt. Vom Menschen keine Spur. Das ist anders bei John Bocks Skulptur „Mondscheinbauer, Halbauge zu“, einem zu Bruch gegangenen und mit leeren Joghurtbechern verzierten landwirtschaftlichen Gerät (20 000 Euro). Doch die Ausstellung betreibt weder Kultur- noch Naturpessimismus. Die verschlungenen Linien, chaotischen Wucherungen bieten dem Auge Erholung vom menschengemachten Reglement. „Paradise 32, Peru“ hat Thomas Struth sein Foto vom Regenwald genannt (7/10, 48 000 Euro). Lari Pittman versetzt Riesenkakteen in eine künstliche Zivilisation. Die Märchenszenerien mit Schauspielerinnen und bauchigen Kannen, aus denen Wasser für die Wüstenpflanzen sprudelt, zielen aufs Unbewusste. Bei Pittman ist die Natur tief im Wesen des Betrachters verborgen. Roe Ethridge, im Hauptberuf Modefotograf, sieht in der Natur das Fenster zum Jenseits. Er hat das Licht zwischen der aufgerissenen Wolkendecke fotografiert. Die Brechung der Strahlen verdoppelt die Sonne, dabei entsteht ein Bild von fast sakralem Charakter. So wird in dieser harmonischen Ausstellung die Natur nicht Schauplatz darwinistischer Kämpfe, sondern Sehnsuchtsziel. Ein Reich jenseits menschlicher Ordnung, digitaler Vereinfachung und getakteter Zeit. Nur Olav Christopher Jenssen versucht das Panorama glatt zu ziehen, malt Berge wie Burgzinnen und den Horizont als Straße. Die Farben aber führen in die Weite – selbst in dieser schematisierten Natur findet der Maler die Freiheit. Simone Reber

Galerie Gerhardsen Gerner, Holzmarktstr. 15–18; bis 14. 1., Mi–Sa 11–18 Uhr.

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