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Der Engel als Ghostwriter. Jan Gossaert malt „Der heilige Lukas malt die Madonna“ um 1520. Foto: akg-images

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Ausstellung in London: Mehr Süden im Norden

Die Londoner National Gallery würdigt den Renaissancemaler Jan Gossaert.

Auf Balthasars Stirnband hat er seinen Namen geschrieben, ebenso auf den Kragen von dessen Diener. Jan Gossaert, genannt Mabuse (1478 -1532), war sich seines künstlerischen Ranges bewusst. Auf seinem Meisterwerk, der im Auftrag eines flämischen Aristokraten für eine kleine Abteikirche gemalten „Anbetung der Könige“, hat er sich sichtbar verewigt.

Kunst kommt von Kunst. So hat auch Gossaert seine Komposition von einem Vorgänger abgeschaut. Die „Anbetung“ des Hugo van der Goes, gut 40 Jahre früher entstanden – heute in der Berliner Gemäldegalerie zu bewundern –, diente ihm als Vorlage. Einen wichtigen Unterschied gibt es: Aus der eher unspezifischen, allenfalls vage romanischen Ruinenarchitektur des Älteren erwachsen bei Gossaert Hinweise auf die Renaissance, ganz besonders in dem Figurenfries im Hintergrund. Gossaerts „Anbetung“ ist einer der Höhepunkte der Ausstellung „Jan Gossaert’s Renaissance“, mit der die Londoner National Gallery den Niederländer in ihrem Sainsbury-Wing würdigt .

Im Januar 1509 kam Gossaert nach Rom, mit der Entourage von Philip von Burgund, einer schillernden Figur des burgundischen Hofes. Philipp war nacheinander Admiral der Niederlande und Bischof von Utrecht; dessen ungeachtet legte er eine umfangreiche Sammlung von Erotica an. Als Gossaert in Rom eintraf, ließ Julius II., der Renaissance-Papst schlechthin, den Vatikan gerade von Raffael und Michelangelo ausschmücken. Der flämische Maler, dessen Künstlername Mabuse auf seine Heimatstadt, das heute französische Maubeuge verweist, muss von der neuen Architektur, die er in Rom etwa in den Bauten Bramantes sah, beeindruckt gewesen sein. Fortan verwendete er in seinen Gemälden Renaissance-Motive, wie sie in den Niederlanden nicht existierten. So platziert er den Heiligen Lukas, Schutzpatron der Maler, wie der von einem Engel geleitet Jungfrau und Kind malt, in komplizierten Innenräumlichkeiten mit Säulen, Pilastern und Rundbögen samt Flachreliefs.

Gossaert war ein technisch brillanter Maler. Die Beherrschung der Zentralperspektive ist makellos, die Fantasie in der Gestaltung der Architekturen überaus reich. Hatte Gossaert zu Beginn seiner Laufbahn noch gotische Kirchenräume in der Tradition des zwei Generationen älteren Jan van Eyck gemalt, so ließ er nunmehr keine Gelegenheit aus, Renaissancemotive in traditionelle Sujets einzubauen. Etwa beim leidenden Christus, den er vor eine makellose Marmorsäule setzt, während die Figur selbst ein gründliches Studium des Belvedere-Torsos verrät, des spätgriechischen Skulpturfragments.

So sehr Gossaert sich als produktiver Maler gängiger biblischer Historien hervortat, insbesondere der Madonna-mitKind-Bilder, so sehr hat er sich zugleich der Adaption antikischer Sujets gewidmet. Das Patronat des burgundischen Hofes trug dazu bei. Die außerordentliche Darstellung von Herkules und Deianeira mit erotisch ineinander verschlungenen Beinen schließt unmittelbar an Adam und Eva als Liebespaar an, wie sie Gossaert von Dürers kurz zuvor entstandener Radierung abgeschaut haben mag. Bei „Venus und Cupido“ (1521) geht es erst recht um pure Sinnlichkeit, ungeachtet einer moralisierenden Inschrift auf dem Rahmen. Der nämlich konnte entfernt werden, so dass sich der Betrachter – vermutlich der Auftraggeber Philip – ganz der Präsenz der nackten Venus hinzugeben vermochte. Auch bei einem hochmoralischen Sujet wie dem der Sünderin Maria Magdalena (1530), zeigt Gossaert eine laszive, schon durch ihren leicht verhangenen Blick verführerische junge Frau, deren aufwendige Kleidung mit aller Raffinesse der Materialdarstellung besticht.

Dagegen sind Gossaerts Porträts alles andere als manieristisch. Ihnen ist in London der größte der sechs Ausstellungssäle gewidmet. Unübertrefflich der Realismus des „Älteren Paares“, in dessen Gesichter sich die Verhärtungen und Entfremdungen eines langen Lebens sowie des unaufhörlichen Ringens um Geld und Geschäft eingegraben haben. Hinreißend das Dreierbildnis der Kinder des exilierten dänischen Königs Christian II., ungemein genau beobachtet allein die Haltung ihrer Hände. Und der junge Jan Jacobsz Snoek schaut aus seinem Bildnis derart hochnäsig auf den Betrachter, dass sich sein gehobener gesellschaftlicher Status ebenso unmittelbar mitteilt wie die kritische Distanz des Malers.

Für die zuvor am New Yorker Metropolitan Museum gezeigte Ausstellung konnten Leihgaben aus den entlegensten Sammlungen versammelt werden. Jan Gossaert ist kein alter Bekannter des Ausstellungsbetriebs, im Gegenteil. Doch mit dieser Schau, der ersten seit einem halben Jahrhundert, und dem als Werkverzeichnis angelegten, knapp 500 Seiten starken Katalog kann ein Künstler neu entdeckt werden, der zu den Großen der niederländischen Malerei zu zählen ist. Einer, der die Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Renaissance kraftvoll überschreitet. An Gossaerts Gemälden ist das Verhältnis von italienischer Renaissance und nordalpiner Rezeption neu zu bewerten – der Kulturaustausch zwischen Süd und Nord.

London, National Gallery, bis 30. Mai. Katalog 60 Pfund, Begleitband zu den Werken der National Gallery 14,99 Pfund.

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