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So groß mit Hut. Udo Lindenberg kontempliert Jugendbildnisse seiner selbst. Foto: Davids/Darmer

© DAVIDS

Ausstellung: Udo Lindenberg: Locker vom Rocker

Lederjacken! Likörelle! Eine Ausstellung im Schloss Neuhardenberg weiß alles über Udo Lindenberg.

So eine Menschenschlange hat es in Märkisch-Oderland seit der DDR nicht mehr gegeben. Schon eine Stunde, bevor es am Sonntag überhaupt losging, standen die Brandenburger vor dem Schloss Neuhardenberg und warteten schön aufgereiht auf Udo Lindenberg. Nur die Fotografen und Fernsehteams sprangen ständig auf und liefen einem Mann mit Hut und Sonnenbrille entgegen – aber dann war es doch wieder ein Udo-Lindenberg-Double. Wie viele professionelle Lindenberg-Doubles es gibt, das scheint ja ein richtiges Gewerbe zu sein! Lauter Männer mit Hüten, großen schwarzen Brillen und engen Hosen, angereist aus der gesamten Republik, die ahnungslosen Brandenburgern Autogramme geben und Zigarre rauchend „Immer locker bleiben“ sagen oder „Keine Panik, alles klar, alles easy“ – und sich am Ende ebenfalls schön aufgereiht in die Märkische Schlange begeben.

Eingeladen hatte die Stiftung Schloss Neuhardenberg zur Eröffnung von „Udo – die Ausstellung“, mit anschließendem Konzert des Originals. Schon wenn man die Ausstellung betritt, stolpert man fast über eine musikhistorische Sensation: Das Schlagzeug von Miles Davis! Ein persönliches Geschenk der Jazzlegende an Udo Lindenberg, er begann ja seine Karriere mit 13 als Trommler in Gronau. (Da ich am Vorabend schon einmal ganz alleine in der Ausstellung war, setzte ich mich heimlich ans Miles-Davis-Schlagzeug und griff nach den Stöcken wie nach dem Heiligen Gral. Ich habe zwar noch nie Schlagzeug gespielt, aber es ging irgendwie ganz easy, wie von alleine, irre!)

Die Ausstellung ist der Hit. Man läuft in 14 Stationen wie durch eine WG der Bundesrepublik. Hier und da hängen persönliche Fotowände: Udo Lindenberg mit Gorbatschow, Willy Brandt, Erich Honecker, Sepp Maier, Eddie Constantine, Peter Zadek, Nena, Beuys, Otto Waalkes, Putin, Karl Dall – ein einziges Durcheinander bunter Zeitgeschichte, Sprechblasen auf Fotos („Du immer mit deinen Ufos!“, sagt Helmut Schmidt zu Lindenberg), gemischt mit weiteren Udo-Memorabilien und schrägen Privatbildern mit vielen schönen Frauen, Margot Honecker also quasi zwischen lauter barbusigen Lindenberg-Frauen. Auf einem Bild sieht man, wie Lindenberg Erich Honecker seine Gitarre 1987 in Wuppertal überreicht („Gitarren statt Knarren“), daneben steht Margot mit einem irgendwie seidenen Blick, so als denke sie: „Scheiß DDR, warum haben wir denn nicht solche Männer mit solchen Hosen?“

Lindenberg kommt eindeutig nach der Mutter Hermine, das sieht man auch in der Ausstellung, dieser geschwungene Mund! Auf einem Foto sieht er sogar aus wie der junge Rudolf Steiner, das war ja auch ein schöner Mann. Der Vater von Lindenberg sieht eher aus wie Kafka, soff aber angeblich g mehr und spielte nachts in der Küche Strawinsky, wozu die Kinder geweckt wurden, damit es mehr Publikum gab.

Der lockere Gestus der Ausstellung, den die Kuratoren Manfred Besser und Caroline Gille gefunden haben, ist wunderbar. Und natürlich gibt es auch die feierliche Ordnung, mit der einige Exponate ausgestellt werden. Die gerahmten Manuskripte berühmter Liedtexte, die aufgereihten Schallplatten, Platten in Gold und Platin (viel besser als Putin!) und Lederjacken, Lederjacken! Eine Lederjacke wurde sogar aus einem kulturhistorischen Museum in Rostock entliehen.

Und dazwischen immer wieder kleine Details wie Schulzeugnisse aus Gronau, (Musik: „befriedigend“); die Entlassungsurkunde aus der Bundeswehr („Dienstunfähig“). Oder zerfledderte alte Adressenbücher: Harry Belafonte, Amerika: 212 - 7876788, Klaus Maria Brandauer: 0043 - 615271919. Und die „Likörelle“, Lindenbergs Malereien, eingefärbt mit alkoholischen Getränken. Auch die Suite aus dem Hotel „Atlantic“ in Hamburg, in dem Lindenberg seit 15 Jahren lebt, malt und schreibt, wurde nachgebaut. (Nur den berühmten „Ejakulator“ habe ich gesucht, jenes Schlagzeug, mit dem Lindenberg angeblich die Leinwände vollspritzt, das hätte ich auch noch gern ausprobiert.)

Die Märkische Schlange war mittlerweile weg, und die Brandenburger und Lindenberg-Doubles hatten sich in einem Saal eingefunden, der jeden Moment auseinanderzubrechen schien. Bernd Kauffmann, der Intendant der Stiftung Schloss Neuhardenberg, begrüßte endlich das Original, das seltsamerweise schlichter und zurückhaltender wirkte als die ganzen Doubles. Kauffmann hielt eine ergreifende Rede auf Udo Lindenberg, die ungefähr so bejubelt wurde wie Hans Dietrich Genschers Worte zur Ausreiseerlaubnis auf dem Balkon der Prager Botschaft. Plötzlich verstand man auch, warum die Menschen der ehemaligen DDR diesen Udo Lindenberg so lieben mit seinem „Mädchen aus Ost-Berlin“ oder dem „Sonderzug nach Pankow“. Und man verstand auch, warum so eine Ausstellung gerade hier gemacht wird, auf Schloss Neuhardenberg, wo sich schon die Planer des Hitler-Attentats berieten, wo die NVA ihr Jagdfliegergeschwader unterbrachte oder Gerhard Schröder seine erste Klausurtagung für eine neue rot-grüne Bundesregierung einberief. Ein Geschichtsort für einen Sänger, der gegen all diese Zeiten angesungen oder sie herbeigesungen hat.

Und da stand er dann auf der Bühne mit seinem Orchester und sang „Alles klar auf der Andrea Doria“, „Was hat die Zeit mit uns gemacht“ und eben „Mädchen aus OstBerlin“. In der ersten Reihe saß Katharina Thalbach, die große, kleine Theaterfrau, und strahlte wie ein Kind. Zuvor hatte sie noch erklärt, wie sie sich in den Siebzigern in den Mann mit den engen Hosen verliebte und Rudi Dutschke ihr eine Udo-Platte nach Ost-Berlin schmuggelte.

Die Brandenburger waren mittlerweile so angerockt, dass der Saal wackelte. Ältere Damen warfen ihre Strickjacken auf den Boden. Kindern, die Lindenberg plötzlich auf die Bühne hob, fiel der Sonntagskuchen aus dem Mund. Eine entrückte Reporterin wirbelte mit ihrem Mikro herum wie Udo Lindenberg on stage. Michel Gaißmayer, dem UndercoverAgenten Lindenbergs, der für ihn Briefe an Erich Honecker verfasste, lief eine Träne über die Wange. Und Udo sang und sang dahin, mit seiner rauchzärtlichen Stimme. Lässig, aber voller Glauben. Cool, aber so reich an Poesie. Ein großes Kind und ein großer Weiser. Alles in einem und oben drauf der Hut.

„Udo – die Ausstellung“. Bis 19.6., Schloss Neuhardenberg. Di-So, 11-19 Uhr

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