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Kirschblüte in Tokio, Fluss

©  Staatliche Museen zu Berlin

Ausstellung „Zartrosa und lichtblau“: Als aus Edo Tokio wurde

Mit der Öffnung Japans im 19. Jahrhundert kamen neue Technologien in das Land. Das Berliner Museum für Fotografie präsentiert kolorierte historische Fotografien, die auch die Geschichte Japans erzählen.

Mit der nicht eben freiwilligen Öffnung des jahrhundertelang in selbst gewählter Isolation verharrenden Japan 1854 kamen westliche Güter und Techniken ins Land, aber ebenso Ansichten und Wertvorstellungen. Zugleich übte das Land mit seiner über so lange Zeit authentisch gebliebenen Hochkultur eine ungeheure Faszination auf den Westen aus. Sammlungen japanischer – wie zuvor auch schon chinesischer – Kunst entstanden, ein Markt für solche Preziosen etablierte sich. Als Peter Jessen, der Direktor der Berliner Bibliothek des Kunstgewerbemuseums – der heutigen Kunstbibliothek der Staatlichen Museen – 1913 eine Reise nach Japan unternahm, besuchte er zuvor einschlägige Sammler in den USA, denen er ebenso bewundernd wie neidvoll attestierte, ohne ihre Kollektionen könne man die Geschichte der ostasiatischen Kunst „nicht wissenschaftlich erarbeiten“.

Das gilt in gewissem Sinne auch für die Geschichte der Fotografie. Denn dies war eine technische Errungenschaft, die mit der Öffnung Japans ins Land kam und in beide Richtungen wirkte, im Land selbst als Teil der umfassenden Modernisierung und nach draußen als Dokumentation der alten Kultur wie auch ihrer stattfindenden Veränderung. Jessen war einer derjenigen Berliner Sammler und Museumsleute, die die Fotografie als Zeugnis hierherbrachten. Was jetzt im Museum für Fotografie gezeigt wird, hat die Kuratorin Christine Kühn aus den verschiedenen Museen und Bibliotheken der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zusammengetragen, und was an Fotografie aus dem Inselreich vorhanden ist, kann nach Umfang und Vielfalt der Fundstücke nur Staunen machen.

Gang der nördlichen Studiohalle des Nishi Hongan-ji-Tempels in Kyoto"
Die Staffelung des Raums. Die klassische Architektur des Landes übte genauso eine starke Faszination auf westliche Beobachter aus wie der„Gang der nördlichen Studiohalle des Nishi Hongan-ji-Tempels in Kyoto".

©  Staatliche Museen zu Berlin

Dabei ist selbst diese Kollektion nur ein Ausschnitt des gesamten Fundus, worauf schon der Titel der Ausstellung hinweist: „Zartrosa und Lichtblau“. Denn im Mittelpunkt stehen die kolorierten Fotografien, in denen das Lichtblau des Himmels und das Rosa der Kleidung dominieren. Oder das der leuchtenden Chrysanthemen, die zu den Porträts von Geishas und oft genug auch von Prostituierten arrangiert wurden. In der japanischen Tradition hatte das private Porträt keinen Platz, und gar der als Gottkaiser verehrte Tenno blieb ohne jegliche Darstellung. So war es ein kapitaler Traditionsbruch, als sich der junge Kaiser Mutsuhito – nach dessen Regierungsmotto Meiji, „aufgeklärte Herrschaft“, die forcierte Modernisierungsepoche zwischen 1868 und 1912 benannt ist – 1873 in westlicher Militäruniform ablichten ließ. Der kolorierte Abzug, wie die meisten ausgestellten Werke annähernd im A4-Format, zählt zu den Schätzen der Kunstbibliothek, wie auch das englische Magazin mit dem wenige Jahre später entstandenen Holzschnitt, der Japaner in hergebrachter Huldigungshaltung vor eben einer Fotografie des zuvor nie gesehenen Kaisers zeigt.

Japanische Traditionen werden in die Fotografie aufgenommen

Solche Gegenüberstellungen bezeichnen die Qualität dieser Ausstellung, die nicht nur die großartigen Fotografien vorführt, sondern zugleich über ihre Entstehung und ihren Kontext reflektiert. Das gilt zugleich für den opulent ausgestatteten und zum Verständnis unentbehrlichen Katalog. Denn die Fotografen – teils japanischer und teils westlicher Herkunft, aber in ihren Arbeiten kaum zu unterscheiden – sahen sich veranlasst, zugleich japanische Bildtraditionen in das neuartige Medium der Fotografie zu übernehmen wie die Neugier und auch den Voyeurismus ihrer westlichen Kunden zu befriedigen.

„Es ist, als reise Hokusai mit uns“, begeisterte sich Bibliotheksdirektor Jessen bei der Ankunft im Hafen Yokohama, wo sich ihm das pittoreske Bild von Fischerkähnen vor der Kulisse des Berges Fuji bot. Unmittelbar danach fühlte er sich von den „peinlich verwestlichten Geschäftsstraßen“ der Stadt abgestoßen. Diesen Zwiespalt von visuell längst vorgewusster Tradition und tatsächlicher Modernität, der sich doch die eigene Besuchsmöglichkeit verdankte, tragen die Fotografien des „alten“ Japan in sich, die im Westen reißenden Absatz fanden. An die Stelle der authentischen Kultur tritt die Inszenierung. Der zeitaufwendigen Technik der Plattenkamera gemäß, musste sorgfältig arrangiert werden, ob es sich um die Familie eines der unter dem Meiji-Kaiser seiner feudalen Privilegien verlustig gegangenen Shogune handelt oder eine Gruppe von leicht bekleideten Prostituierten in Yokohama, dem Schmelztiegel von Alt und Neu.

Geisha
Die traditionelle Geisha („einen Brief verfassend“).

©  Staatliche Museen zu Berlin

„100 Ansichten berühmter Orte in Edo“

Und natürlich wurde die Landschaft inszeniert, vorgeprägt von der großen Holzschnitttradition Japans. Die lag zur Zeit der Plattenfotografie noch gar nicht weit zurück. So schuf Hokusai seine bis heute immer wieder reproduzierten „36 Ansichten des Berges Fuji“, denen bald darauf weitere „100 Ansichten“ folgten, und nach 1830 Hiroshiges „100 Ansichten berühmter Orte in Edo“ – der 1868 in Tokio umbenannten Hauptstadt des Meiji-Kaisers – sogar erst unmittelbar vor der Öffnung des Landes. An diesen Vorbildern orientierte sich die Fotografie, die gerne Vorder-, Mittel- und Hintergrund nach dem Schema der europäischen Landschaftsmalerei aufbaute, aber eben nicht die Kunst der Leere nachahmen konnte, die dem Fernen Osten eigen ist. Erhellend ist die parallele Hängung von Farbholzschnitten und Fotografien in der Ausstellung.

Sie ist in zehn Kapitel gegliedert, die alle Aspekte von Tradition und tradiertem Alltag im damaligen Japan beleuchten. Vergleichsweise wenig ist die grandiose Baukunst zu sehen. Die Faszination, die sie nach 1900 auf westliche Architekten ausgeübt hat, erschließt sich kaum. Die entsprechende Kapitelüberschrift der Ausstellung, „Tempel, Reisfelder, Curiosity Shops“ macht den touristischen Blick deutlich, dem die Mehrzahl der Aufnahmen folgt, und vor der sich die von unbekannter Hand geschaffenen, streng komponierten Innenaufnahmen von Wohnhäusern um so mehr abheben. Nur selten bricht Aktualität in die bewusst zeitlos gehaltenen Fotografien ein, so nach dem Erdbeben in Nagoya 1891. Und ganz am Schluss des Rundgangs, wo Stereo-Fotografien aus dem Russisch-Japanischen Krieg von 1905 zu sehen sind. Mit diesem Krieg und dem überraschenden Sieg über das zaristische Russland trat Japan auf die Bühne der Weltpolitik.

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 10. Januar. Katalog im Kerber Verlag, 49,90 €, im Buchhandel 58 €.

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