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Familientreffen mit Queen Victoria (vorne Mitte) anlässlich der Fürstenhochzeit in Coburg, 1894.

© Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Ausstellungen über die sächsischen Ernestiner: Die Niederlage als Triumph

Die Ernestiner beschützten Luther, unterlagen dem Kaiser und brachten es auf den englischen Thron. Zwei Ausstellungen in Weimar und Gotha erzählen die Geschichte der sächsischen Dynastie.

Der besiegte Ritter lässt zum Zeichen seiner Niederlage das Schwert sinken. Sein wuchtiger Körper steckt in Kettenhemd und Brustpanzer, ein Helm schützt den Kopf. Der Blick ist melancholisch, neben der Nase zieht sich eine tiefe, noch blutende Wunde durchs Gesicht. Das Porträt von Tizian, ausgeliehen aus dem Prado in Madrid, gehört zu den Prunkstücken der beiden Ausstellungen in Weimar und Gotha, die an das Herrschergeschlecht der Ernestiner erinnern.

Es zeigt Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, genannt der Großmütige, auf dem Tiefpunkt seines Lebens. Er hatte die evangelischen Reichsstände in den Schmalkaldischen Krieg gegen Kaiser Karl V. geführt und war in der Schlacht von Mühlberg 1547 vernichtend geschlagen worden. Johann Friedrich wurde gefangen genommen, zum Tode verurteilt und nur begnadigt, weil andere Fürsten für ihn intervenierten. Der Reichsrebell schrumpfte zum Regionalherrscher, er verlor die Hälfte seines Territoriums und die Kurwürde, die an die albertinische Linie der Wettiner fiel.

Erst 1552 durfte er aus der kaiserlichen Gefangenschaft nach Weimar zurückkehren, das ihm als einzige seiner Residenzen geblieben war. Aber seinen Anhängern galt Johann Friedrich nicht als Verlierer, sondern als Märtyrer. Die Gesichtsnarbe, die katholische Künstler als Beweis der Niederlage präsentiert hatten, wurde von protestantischen Bildmedien zum Signum des „wahren Glaubens“ umgedeutet. Druckgrafiken aus der Cranach-Werkstatt zeigen Johann Friedrich als geläuterten, gütig blickenden Landesvater. Bis zu seinem Tod 1554 ließ er sich „geborener Kurfürst“ nennen.

Verlieren ist nicht schlimm, wenn es für die richtige Sache geschieht

Die Ausstellung im Neuen Museum Weimar beginnt mit einem sächsischen Kurhut aus dem 17. Jahrhundert, einer Kopfbedeckung aus Samt und Pelz, aus deren Spitze ein Hermelinschwanz ragt. Die Herzöge von Sachsen trugen seit dem 14. Jahrhundert diesen Hut, mit den anderen sechs Kurfürsten gehörten sie zu den mächtigsten Adligen des Reiches. Der Verlust der Kurwürde an die Dresdner Cousins war für die Ernestiner eine Katastrophe. Doch sie machten aus der Niederlage einen Sieg, aus dem Abstieg einen Triumph, indem sie ihren eigenen Opfermythos schufen und noch bis zum Untergang der Dynastie nach dem Ersten Weltkrieg ihre Rolle als Beschützer des Protestantismus betonten. Verlieren ist nicht schlimm, darauf lief ihre trotzige Selbstdarstellung hinaus. Man muss es nur für die richtige Sache tun.

Dabei waren es eher pragmatische als ideologische Gründe, die den Kurfürsten Friedrich den Weisen zum Fürsprecher des Theologen Martin Luther gemacht hatten, der seit 1512 an seiner Wittenberger Universität lehrte. Ursprünglich ging es um Geld. Luther verdammte den kirchlichen Ablasshandel, den Transfer einer Art Sündensteuer nach Rom, und das gefiel dem Kurfürsten schon deshalb, weil er dieses Geld selber gut gebrauchen konnte. Friedrich der Weise übernahm zwar schon 1522 Luthers Devise „Verbum Domini Manet In Aeternum“, Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit, blieb aber bis zu seinem Tod ein frommer Katholik.

Ein Reformationsteppich, um 1555 von einem flämischen Meister für den Hof von Weimar gewirkt, ist ein beeindruckendes Beispiel luxuriöser Propaganda. Er zeigt den wiederauferstehenden Jesus, der einen Teufel in der Tiara des Papstes niederdrückt. Neben ihm steht Luther, in seinem Gelehrtentalar als neuer Hieronymus abgebildet, der von papistischen „Pseudoepiscopi“ und „Larvenbischöfen“ attackiert wird, bei denen es sich um verkleidete Wölfe, Bären und Löwen handelt.

Die Ernestiner: Eine komplizierte Familiengeschichte

Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg, den Gemälde als spitzbärtige Catweazle-Figur zeigen, machte unter Berufung auf die „reine“ lutherische Lehre sein Land nach dem Dreißigjährigen Krieg zum protestantischen Musterstaat. Die Verheerungen des Krieges deutete er als Strafe für ein sündhaftes, gottloses Verhalten und führte die Schulpflicht für alle 5- bis 12-Jährigen ein. Appelle an Disziplin und Frömmigkeit gingen mit einem Überwachungssystem einher, das totalitäre Muster vorwegnahm.

Die Pfarrer mussten „Seelenregister“ über alle Gläubigen führen. Die Hexenverfolgung erreichte einen Höhepunkt. Im von Ernst errichteten Schloss Friedenstein in Gotha, zusammen mit dem Herzoglichen Museum der zweite Standort der Ausstellung, ist sein Schreibtisch zu sehen. An dem schlichten, mit floralen Intarsien verzierten Möbelstück soll Ernst, genannt „der Fromme“, sämtliche theologischen Erlasse selbst verfasst haben.

Während sich der Weimarer Teil der Landesausstellung mit den Themen Reich, Glaube und Wissenschaft beschäftigt, geht es in Gotha um Land, Familie und Künste. Die Geschichte der Ernestiner ist kompliziert und verwinkelt, doch den Kuratorinnen Friedegund Freitag und Karin Kolb ist es gelungen, daraus eine stringente Erzählung zu machen. Die Ernestiner waren eine prinzipientreue Familie. Ihr Name geht wie der der Albertiner auf die wettinischen Brüder Ernst und Albrecht von Sachsen zurück, die nach Erbstreitigkeiten ihre Besitzungen 1485 geteilt hatten.

Den Grundsatz der Erbteilung haben die Ernestiner beibehalten, auch wenn er dazu führte, dass sie niemals über den Status einer Regionalmacht hinauskamen. Ernst der Fromme hatte sieben Söhne, ein Glaspokal mit ihren von Löwen und Blumen gesäumten Initialen betont ihre Harmonie. Nach seinem Tod 1675 wurde sein Land in sieben Territorien zerschnitten.

In Thüringen gibt es heute noch 400 ernestinische Schlösser

Die Ernestiner verstanden sich als Schirmherren einer freien Wissenschaft, nach dem Verlust der Wittenberger Universität gründete Johann Friedrich I. sogleich in Jena eine Hohe Schule, aus der eine Universität hervorging, die mit Gelehrten wie Herder, Schelling und Schiller zu einem Zentrum der Aufklärung in Europa aufstieg. Früh sahen sich die Ernestiner als Diener ihres Volkes. Eine 1706 vom Hof-Uhrmacher Johann Assmann konstruierte „Lebensuhr“, ein Kunstwerk von technischer wie künstlerischer Raffinesse, präsentiert Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar mit Allongeperücke, umringt von seinen Vorfahren. Mehrmals täglich erklingen Bach’sche Glockenspiele, angezeigt wird neben der Tageszeit auch die Lebenszeit des Fürsten.

Am preußischen Hof wurden die ernestinischen Fürstentümer als „Flickenteppich“ verspottet. Dabei setzte sich im 18. Jahrhundert das Prinzip der Primogenitur, der Erbfolge für den Erstgeborenen, nach und nach in allen Territorien durch. Kulturell begründeten die Teilungen eine Blüte. In Thüringen, dem Nachfolgestaat der ernestinischen Fürstentümer, gibt es heute noch rund vierhundert Schlösser.

Die Ernestiner waren Meister darin, Bedeutungsverlust durch eine kluge Heiratspolitik auszugleichen. Mit ihrer territorialen Mittelmäßigkeit waren sie keine Bedrohung für die Großmächte, das machte sie zu idealen Ehepartnern. So heiratete Albert von Sachsen-Coburg und Gotha 1840 die englische Königin Victoria. Es war, wie später gesagt wurde, eine „arrangierte Liebesheirat“. Das Königshaus hieß bis 1917 „Saxe-Coburg and Gotha“. Dann wurde es in „Windsor“ umbenannt. Mitten im Krieg wollte man nicht länger den Namen des Feindes tragen.

Neues Museum und Stadtschloss Weimar, Schloss Friedenstein und Herzogliches Museum Gotha, bis 28. August. Katalog (Sandstein Verlag) 34,90 €.

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