Vergleiche mit Austern gehören in Berlin eigentlich zu einem ganz anderen Veranstaltungsort, aber bisweilen darf man sicher erwähnen, dass auch das hohle Rund des Kammermusiksaals der Philharmonie Perlen birgt: Midori zum Beispiel, die japanische Geigerin, die so erlesen spielt, dass sie auf ihren Nachnamen lässig verzichten kann – wie übrigens Guarneri (dessen Instrument sie spielt) auf einen Vornamen. Nun erwachsen Perlen, wie man weiß, aus winzigen Verunreinigungen – und meist ist es auch bei künstlerischen Perfektionisten so, dass ihr Glanz sich dem Kampf mit einer kleinen Unebenheit verdankt: Nicht groß genug, um den Schein zu trüben, aber doch fühlbar genug, um ihnen Charakter zu verleihen.
Bei Midori freilich sind solche Unebenheiten oder Abgründigkeiten kaum auszumachen. Ist die 31-Jährige im Kern vielleicht Wunderkind geblieben? Die tiefsten Wirkungen jedenfalls erzielte sie dort, wo sich die Werke solcher Makellosigkeit entgegenstellten: Dem antikulinarischen jungen Hindemith der Es-Dur-Sonate trotzte sie manches satte Lächeln ab, ohne ihn dabei zu verkitschen. Und stärker noch als alle energischen Gefühlsausbrüche einer Brahms-Sonate ergriff der wahnwitzig virtuose Schlußssatz der d-moll-Sonate von Camille Saint-Saëns. Gewiss kippten Midori und ihr Begleiter Charles Abramovic hier gleich kistenweise herrlich perlende Läufe aus. Ein Balancieren auf dem Hochseil – über Abgründen, in delikatestem Piano. Wo bei anderen der Zirkus beginnt, fängt bei Midori die Musik offenbar erst an.
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