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Albert Ostermaier hat bereits eine Reihe von Ländern bereist, die als Krisen- oder Konfliktregion gelten.

© /Foto: picture alliance / dpa/ Uwe Anspach

Auswärtige Kulturpolitik in Krisenzeiten: Flüchtlinge - die Geschichten hinter den Zahlen

Albert Ostermaier über Kultur in Krisenzeiten und die Macht des Fußballs.

Mit dem Begriff Krise geht Albert Ostermaier äußerst sorgsam um. „Mit Sprache werden Wirklichkeiten geschaffen, auch Befindlichkeiten und Ängste provoziert, die politisch missbrauchbar sind“, so der Münchner Schriftsteller. Entsprechend verwehrt er sich etwa entschieden gegen das Wort „Flüchtlingskrise“. Weil damit Ursachen und Folgen verkehrt und die tatsächlichen Verantwortlichkeiten verschleiert würden. „Es ist doch klar, dass nicht die Flüchtlinge die Krise sind!“, stellt er klar. Was den 1967 geborenen Dramatiker, Lyriker und Romancier auch sogleich auf die Rolle führt, die in seinen Augen dem Künstler in Konfliktzeiten zukommt: „Wir können Übersetzungsarbeit leisten, erfahrbar machen, warum diese Menschen zu uns kommen, wer sie sind“.

Ostermaier spricht aus gewachsener Erfahrung. Vor zwei Jahren – er arbeitete gerade an seinem Roman „Lenz im Libanon“ – eröffnete sich ihm am Rande des Europäischen Schriftstellerkongresses die Möglichkeit, Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf eine Reise in den Libanon zu begleiten. Der Künstler und der Politiker sind seit längerem befreundet, Ostermaier sagte sofort zu. Ihm ging es darum, „andere Blickwinkel und andere Zugänge“ zu bekommen. Was sich vor allem bei dem Besuch eines Camps einlöste, in dem syrische Flüchtlinge registriert wurden. Wo Helfer die Schicksale hunderter auf engstem Raum zusammengeballter Menschen zu Protokoll nahmen. „Ein Ort, auf den man nicht vorbereitet ist“, erzählt Ostermaier. Ihm sei dort wie nie zuvor bewusst geworden, „dass hinter den abstrakten Grafiken Geschichten stehen. Und dass jede einzelne es wert ist, erzählt zu werden“.

Nachhallende Nahosterfahrung

Diese nachhallende Nahosterfahrung hat nicht nur in literarischer Form Eingang in den Roman „Lenz im Libanon“ gefunden. Sondern Ostermaier auch zu dem Autorenforum „Front:Text“ inspiriert, das im vergangenen Jahr angedockt ans Münchner Literaturfest stattfand. Und das Künstler, Autoren, Politiker, Flüchtlinge und Exilanten zusammenführte. Es gab Poetry Slams, gemeinsame Fußballspiele, DJ-Sets von Menschen aus Krisenregionen. Vor allem sind im Vorfeld Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Partnerschaft mit dem Goethe-Institut in Konfliktgebiete gereist, buchstäblich an die Grenze, die „Front“, um dort Erlebnisse zu sammeln.

Der aus Palermo stammende Autor Davide Enia etwa fuhr nach Lampedusa, sprach dort mit Fischern, Tauchern, Gärtnern. Mit Einheimischen, die schon seit 25 Jahren Flüchtlingen helfen. „Jeder, der Davides Text gehört hat, wird mit dem Wort Lampedusa fortan mehr verbinden als nur die Katastrophenmeldungen aus den Nachrichten“, ist er überzeugt. Genau darum geht es ihm mit seiner Kulturarbeit: „Eine Öffentlichkeit zu formen, die Menschen zu sensibilisieren“.

Ostermaier selbst hat bereits eine Reihe von Ländern bereist, die als Krisen- oder Konfliktregion gelten. „Deutschland hatte ich dabei nie derart im Gepäck, dass ich mich als offizieller Botschafter oder Repräsentant gefühlt hätte“, sagt er. „Ich bin als Europäer aufgewachsen". Freilich, gelegentlich trägt Ostermaier auch das Deutschland-Trikot. Wenn er nämlich als Torwart zu Spielen mit der Autoren-Nationalmannschaft unterwegs ist, die schon Begegnungen in Saudi-Arabien, Israel oder in der Ukraine hatte. Spiele, die Zugänge und Brücken schaffen. Die „alle Berührungsängste oder Vorurteile abzubauen helfen, die vielleicht da waren“, beschreibt er. Das sind Anlässe, wo er durchaus das Gefühl hat, „dass wir unsere Kultur und Werte in einer spielerischen Weise vermitteln“.

„Deutschland ist viel mehr zu einem Akteur geworden. Die Zeiten, in denen man Schecks ausgestellt hat, um sich aus allen Konflikten heraushalten zu können, sind vorbei“. Was ihm dabei am Herzen liegt ist der Appell, die Augen offen zu halten. „Man sollte sich nicht erst für Krisen und Konflikte interessieren, wenn schon die Bomben fallen“, mahnt Ostermaier.

Weitere Artikel zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite.

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