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Kultur: Ballett: Ein Fischli namens Wanda

Spot auf einen nackten Hintern - schon der Auftakt zum Gastspiel der Michael Clark Company ist ein Déja-Vu. Das Po-Dekolleté war ein Erkennungszeichen des britischen Exzentrikers, der in den Achtzigern das Ballettpublikum mit seiner "Kiss-my-ass"-Attitüde schockierte.

Von Sandra Luzina

Spot auf einen nackten Hintern - schon der Auftakt zum Gastspiel der Michael Clark Company ist ein Déja-Vu. Das Po-Dekolleté war ein Erkennungszeichen des britischen Exzentrikers, der in den Achtzigern das Ballettpublikum mit seiner "Kiss-my-ass"-Attitüde schockierte. Seine Aufritte waren eine Kampfansage an den prüden Thatcherismus: Da wurde nicht nur die Punk-Musik laut ausgedreht, das klassische Tanzidiom hat er drastisch travestiert, sexualisiert und vulgarisiert. Clark war berühmt-berüchtigt nicht nur wegen seiner Bühnen-Exzesse, sondern auch wegen seines ausschweifenden Lebensstils. Und er machte Furore durch seine Liebesaffaire mit dem amerikanischen Tänzer Stephen Petronio, auch er ein glitzernder Narziss. Einige Jahre war er weg vom Fenster. Nun ist er auf die Bühne zurückgekehrt mit einer neuformierten Company - sein neues Stück versprach eine Reflexion des eigenen Werdegangs. "Before and After: The Fall" können die Veranstalter von "Tanz im August" stolz als Uraufführung im Hebbel-Theater präsentieren.

Der Titel lässt eine doppelte Lesart zu. Der zweiteilige Abend besteht zunächst aus einem Remake einer Choreographie zu Musik der Post-Punk-band The Fall. Doch wer will, erkennt auch Anspielungen auf Aufstieg und Fall eines Tanzstars. Deutlich wird: Die Zeit der Revolte ist vorüber. Den Po hält nun eine andere hin: Lorena Randi. Sie ist die herausragende Tänzerin des Abends. Auf silbernen Plateaustiefeln tritt sie in die Fußstapfen von Michael Clark. Ihr Tanz hat die rasiermesserscharfe Präzision, die rotzige Attacke, die rabiate Energie, die den Zuschauer direkt anspringt. Er ist eine freche Anmache. Die "Ihr-Könnt-mich-alle-mal"-Allüre steht Randi gut. Die anderen Tänzerinnen wirken dagegen mädchenhaft-brav bis backfischaft.

Da helfen auch die schrillen Kostümierungen nicht. Richard Court, allein unter Frauen, bringt seinen androgynen Charme ins Spiel. Dies ist ein Abend für Schuh-Fetischisten. Stiefel mit mörderisch hohen Absätzen haben die Spitzenschuhe ersetzt, sie verlängern die tänzerische Linie, machen die Beinarbeit zu prekären Balanceakten. Ein Punk-Paar wird konfrontiert mit zwei Ballettmaiden. Hier die rebellische Pose, da die Disziplinierung des klassischen Tanzes - ganz schön selbstverliebt. Gegen den "New Puritan" singen the Fall im ersten Song an. Clark zerlegt und verformt nicht nur lustvoll das Ballett, er zeigt auch ein Spiel mit sexuellen Identitäten. Mit zerzauster Blondmähne könnte Lorena als hysterischer Vamp durchgehen, baumelte unterm Rüschen-Negligé nicht ein Gummi-Dildo.

Auf Provokation getrimmt sind die Nummern, und gehen heute schon als krawalliges Entertainment durch. Die Choreographie, die stark von den visuellen Effekten lebt, wirkt oft eintönig - selbst wenn die Tänzer einen Dschungel aus Spiegelei-Pflanzen durchqueren. Clark selbst begnügt sich mit einem Kurzauftritt, balanciert ein Goldfischglas über die Bühne. Die Punkmode hat sich Bedrohliches und Anstößiges einverleibt. Hier wird nur ein Fischli verschluckt. Kein Schock, eher ein Scherz à la "Ein Fisch namens Wanda".

Für den zweiten Teil hat Clark sich von der bildenden Künstlerin Sarah Lucas anregen lassen, auch sie steht im Ruf eines enfant terribles. Die Tänzerinnen in hautfarbener Unterwäsche formieren sich zum Ballett der Armprothesen. Ein riesiger Arm mit offener Faust, eine Clark-Nachbildung, senkt und hebt sich über den unverdrossen pirouettierenden und paradierenden Girls. Verglichen mit dem oft monströsen Körperbild der Brit-Art wirkt dieses Anatomie-Ballett nicht besonders bedrohlich. Michael Clark schwebt als Über-Ich, besser: Über-Arm über dem Stück, eine ästhetische Handschrift resultiert daraus nicht. Wohin der künstlerische Weg ihn führen wird, ist ungewiss. Der Abend steht im Zeichen von Retro. Michael Clark zitiert ausgiebig: sich selbst. Das ist ein Schock.

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