zum Hauptinhalt
Ein Paar, im Leben wie auf der Bühne: Marian Walter und Iana Salenko.

© dapd

Ballett: Meine Haare, deine Haare

Freudentanz: Das Staatsballett Berlin zeigt John Crankos „Romeo und Julia“ in der Deutschen Oper als heiteres Treiben. Es fehlen die Schatten dieser eigentlich doch tragischen Geschichte.

Wie konnte aus Romeo und Julia das berühmteste Liebespaar aller Zeiten werden? Das sind ja noch Kinder, aufgewachsen inmitten von kaltem Prunk und kälteren Herzen. In ihnen feiert sich die Liebe als verfolgte Unschuld und verleiht sich selbst die Aura eines Gefühls, das nur richtig sein kann. Selbst Priester werden da schwach. Tristan und Isolde mit ihren komplizierten Vorleben, beladen mit Schuld und Überdruss, sehen dagegen alt aus. Folglich sieht man sie selten tanzen.

Mit John Crankos legendärer Stuttgarter Choreografie von 1962 studiert das Staatsballett Berlin jetzt erstmals die klassisch-moderne Tanz-Lesart von Shakespeares Drama ein. Eine überfällige Repertoireentscheidung. Denn Crankos „Romeo und Julia“ ist nicht nur eine dankbare Aufgabe sowohl für Solisten wie Corps de ballett, die, angetrieben von Sergej Prokofieffs Musik, spielend größte Bühnenräume füllen. Seine Choreografie ist auch eine Unabhängigkeitserklärung des Balletts. Das, was einst in Stuttgart als „deutsches Ballettwunder“ begann, löste den Tanz aus der Rolle des Zulieferers für die mächtige Opernmaschinerie. Diese Zeiten sind in Berlin noch nicht lange vorbei.

„Romeo und Julia“, ein Freudentanz in der Deutschen Oper also, trotz des bitteren Endes – in kurz vor der Premiere geänderter Besetzung: Da sich Nadja Saidakova verletzt hatte, musste nicht nur sie, sondern auch ihr Partner Mikhail Kaniskin zurücktreten, um einem neuen Titelpaar Platz zu machen. So ist es an Iana Salenko und Marian Walter, zwei Veroneser Jugendliche derart entflammen zu lassen, dass man Jahrhunderte später noch die Glut ihrer Liebe spürt. Die beiden Solisten leben zusammen, haben einen Sohn und tanzen beim Staatsballett Berlin. Mit ihren Haaren allerdings scheinen sie nie zu spielen. Zwei Mal verlangt Cranko nach dieser intimen Geste: nach der einzigen gemeinsamen Nacht und als Romeo sich neben der vermeintlich toten Liebsten erdolcht. Beide Male bleibt sie Mechanik. Das choreografische Erbe Crankos lebendig zu halten, der 1973 jung verstarb, ist das Lebenswerk von Georgette Tsinguirides. Sie hat „Romeo und Julia" auch beinahe 50 Jahre nach der Uraufführung an die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts weitergegeben und verblüffende Erfolge erzielt. Die Lust, mit der Dinu Tamazlacaru seinen Mercutio durchs Leben treiben lässt, wächst unmittelbar aus dem Tanz. Der Pas de trois von Romeo und seinen Freunden ist ein Energiefluss. Das Faschingstableau schnurrt ab wie das Laufwerk einer lächelnden Uhr. Und doch fehlen Schatten in diesem heiteren Treiben. Salenko und Walter können selten rühren. Bei Romeo reicht die Kraft noch für einen Klimmzug an Julias Balkon.

Der junge spanische Dirigent Guillermo Garcia Calvo hat „Romeo und Julia“ schon an der Wiener Staatsoper dirigiert. Das Orchester der Deutschen Oper schätzt ihn wegen seiner Klarheit. Prokofieffs dunkel schimmernde Ballettmusik hält aber auch für ihn einige Fallstricke bereit, zumal Cranko sie leichter, lichter auffasste, als sie komponiert worden war. Klarer umrissen hätte es klingen dürfen, zugespitzter, fordernder. So bleibt die Verbindung zwischen Graben und Bühne kultiviert, aber wenig abgründig. Warum also nicht mehr Risiko wagen an den kommenden Abenden, in wechselnden Besetzungen?

Wieder am 12./17.2. (mit Iana Salenko, Marian Walter), 2.3. sowie 6./9.4. (mit Polina Semionova, Friedemann Vogel).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false