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Darsteller mit Gastronomie-Hintergrund. Nicole Sartirani, Kaoru Iriyama und Michail Fotopoulos (v. l.) erzählen ihre Lebensgeschichte.

©  Cristiano Prim

Ballhaus Naunynstraße: Migration geht durch den Magen

Dunst und Drama: In „Bloody, Medium oder durch“ am Ballhaus Naunynstraße lässt Anestis Azas Migranten mit Gastronomie-Hintergrund ihre Geschichte erzählen.

Welches Volk lieben die Deutschen am meisten? Die Griechen? Schließlich ist Hellas mit seinen Wärme-Inseln das beliebteste Urlaubsziel. Oder doch die Italiener, so sexy, fröhlich und fußballerisch begabt? Nicht von ungefähr ist ja schon Goethe nach Italien gereist und nicht nach Schweden. Oder die Japaner? Die sind bekannt als die Deutschen Asiens, fleißig, diszipliniert und im Falle des Scheiterns zum Suizid aus Scham bereit. Oder doch die Syrer? Die haben erstens großartige Doktoren. Und sind zweitens nicht übertrieben religiös, was eindeutig Sympathiepunkte sichern müsste. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen! Aber eins ist auch klar: Liebe geht durch den Magen. Also haben wir es im Grunde mit einem Wettstreit von Gyros, Pizza, Sushi und Falafel zu tun.

Vier Menschen mit Gastronomie-Hintergrund stehen auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße. Die Italienerin Nicole Sartirani, die Japanerin Kaoru Iriyama, der Grieche Michail Fotopoulos und der Syrer Nizar Basal. Vier Berliner, die aus verschiedenen Gründen nach Deutschland gekommen sind und sich in der Hauptstadt mit Jobs in einer Branche über Wasser halten, in der unbezahlte Überstunden, niedrige Löhne und extremer Zeitdruck zum Profil gehören. Ihre Geschichten geben einerseits Einblicke hinter die Kulissen der Küchen. Restaurants, sagt Sartirani einmal, seien ja eigentlich auch nur Theaterbühnen voller täglicher Dramen und überschießender Emotionen. Und auf der anderen Seite fügen sich ihre Erzählungen zu einem Mosaik der migrantischen Odysseen.

Spannende Lebenswege sind die halbe Miete

Mit dem Stoff kennt der griechische Theatermacher Anestis Azas sich aus. Er hat am Ballhaus Naunynstraße schon das großartige Stück „Telemachos – Should I stay or should I go?“ entwickelt, das sich zu Krisenhochzeiten mit den Wanderbewegungen zwischen Griechenland und Deutschland beschäftigte. Mit „Bloody, Medium oder durch“ untermauert er nun zunächst mal, dass spannende Lebenswege im dokumentarischen Theater mehr als die halbe Miete sind. Nizar Basal etwa, Mathematiker und IT-Spezialist, hat Syrien schon vor 28 Jahren verlassen und lange in Abu Dhabi gelebt, wo er es als Erfinder von Küchengeräten zu einigem Erfolg brachte. Unter anderem hat er einen Ofen entwickelt, in den sich per Kran ganze Kamele versenken lassen. Wer’s mag. Heute leitet der Mann in Tempelhof eine arabische Großküche für Geflüchtete. Und muss sich mit einer Bürokratie herumschlagen, die zur Untätigkeit verdammten Asylbewerbern kaum Zuverdienst erlaubt. 

Die Japanerin Kaoru Iriyama hingegen kam zum Studium nach Berlin, ausgerechnet nach Hohenschönhausen („Baustellen, Neonazis, wenig Romantik“). Später ließ sie sich in Japan von einem Meisterkoch ausbilden, bloß um zurück in Deutschland für fünf Euro pro Stunde in der Gastronomie zu schuften. Allerdings ließ sich Iriyama nicht entmutigen, entwarf einen Businessplan und baute ihren eigenen Cateringservice auf. Der Berater beim Jobcenter erzählt noch heute ihre Erfolgsgeschichte als leuchtendes Beispiel.

Willkommenskultur spiegelt sich auch in den Küchen

Nicole Sartirani und Michail Fotopoulos wiederum sind Schauspieler, die in ihrer Heimat mit der Kunst an Grenzen stießen, im deutschen Kulturbetrieb aber auch noch nicht wirklich Fuß fassen konnten. Daher bedienen sie zwecks Broterwerbs das Klischee des kellnernden Künstlers. Sartirani erzählt, wie sie einmal ein ihr bekanntes Grüppchen von Berlinalegästen zu bewirten hatte, eigentlich ja die eigenen Kreise – peinlich oder ganz normal? Kommt auf die Perspektive an. Zu vorgerückter Stunde gesellt sich noch Brite David Boylan hinzu, der lieber nicht erzählen möchte, wie viel er als Küchenchef in Berlin verdient. Würde man für einen Scherz halten, sagt er.

Willkommenskultur, das wird deutlich, spiegelt sich auch in den Küchen. Ein Teil des Publikums sitzt während all dieser Erzählungen an einer langen, hufeisenförmigen Holztafel und wird mit aromatisiertem Wasser versorgt. Anestis Azas, der „Bloody, Medium oder durch“ zusammen mit dem Ensemble entwickelt und viel in der Berliner Gastrolandschaft recherchiert hat, vergisst eben nie, dass Theater im besten Fall alle Sinne anspricht.

wieder 10.–12. November, 20 Uhr sowie 13. November, 19 Uhr

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