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Kultur: Balz mit dem Metall

Niemand ist so oft zum europäischen "Jazzmusiker des Jahres" gewählt worden wie Albert Mangelsdorff.Auch in den USA genießt er hohes Ansehen.

Niemand ist so oft zum europäischen "Jazzmusiker des Jahres" gewählt worden wie Albert Mangelsdorff.Auch in den USA genießt er hohes Ansehen.Der Pianist John Lewis zählte ihn bereits 1962 zu den drei wichtigsten Posaunisten im Jazz.Seitdem rangiert Mangelsdorff immer wieder im gehobenen Mittelfeld der amerikanischen Jazz-Polls - zuletzt in der diesjährigen Kritikerumfrage der Genre-Bibel "Down Beat".Dort rangiert der deutsche Jazzer auf Rang elf der Posaunistenliste - merkwürdigerweise als "Talent Deserving Wider Recognition", als Talent also, das "größere Anerkennung verdient".Ein besseres Geburtstagsgeschenk hätte man Mangelsdorff nicht machen können.Heute wird der Posaunist 70 Jahre alt.

Außergewöhnlich ist Mangelsdorffs Ruhm in den USA schon deshalb, weil er nie dort gelebt hat.Immer hat er sich als eigenständiger Wegbereiter des deutschen und europäischen Jazz verstanden.Natürlich war es zunächst der amerikanische Jazz, den der junge Mangelsdorff während des Nationalsozialismus heimlich im "Feindsender" hörte.Seine Begeisterung für diese unerhört andere Musik - Benny Goodman, Duke Ellington, Satchmo - machte er dann nach dem Krieg zum Beruf, als er als Bigband-Gitarrist in den Frankfurter Hot Clubs der US-Armee zu spielen begann.Durch die schwarzen Soldaten kam er auch mit dem damals modernen Jazz in Kontakt, im American Forces Radio hörte er die Platten Charlie Parkers und sog den Bebop in sich auf.Zur Posaune, seinem eigentlichen Instrument, griff Mangelsdorff jedoch erst, als er schon 20 Jahre alt war.

Damit verfestigte er seine musikalische Karriere in der Band von Hans Koller, dem bedeutendsten europäischen Vertreter des Cool Jazz in den fünfziger Jahren.Später wurde Mangelsdorff Mitglied im Tanzorchester des Hessischen Rundfunks, daneben spielte er bei den Frankfurt All Stars und German All Stars, bis er 1958 die Leitung des Jazz-Ensembles des Hessischen Rundfunks übernahm.Aber erst nach der Gründung seines eigenen Quintetts im Jahr 1961 setzte bei Mangelsdorff jener Prozeß ein, den Volker Kriegel, ein späterer Mitstreiter im United Jazz and Rock Ensemble, als "Abnabelung von den amerikanischen Über-Ichs" bezeichnet hat.

Auf einer mehrmonatigen Tournee, die Mangelsdorff 1964 mit seiner Band im Auftrag des Goethe-Instituts durch Asien führte, fand der Posaunist zu neuem musikalischen Ausdruck.Er baute indische Ragas in sein Spiel ein, schaffte sich großen Freiraum für die Improvisation und legte damit den Grundstein für eine sehr persönliche Emanzipation des Jazz.In diesem Zusammenhang ist dann auch der weltberühmte, unverwechselbare Mangelsdorff-Sound entstanden: Anfang der siebziger Jahre hatte er eine fulminant mehrstimmige Spieltechnik ausgetüftelt, die es ihm erlaubt, eine Note zu blasen und gleichzeitig eine höhere Note zu singen.Mangelsdorff gab daraufhin internationale Solo-Konzerte für Posaune, "dirty sounds", Obertöne und schlingernde Phrasen, die bis zu zwei Stunden dauern konnten.Free Jazz und Rockjazz hießen weitere Experimente.

Anhaltenden Erfolg hatte er vor allem in dem von dem Pianisten Wolfgang Dauner 1975 gegründeten United Jazz And Rock Ensemble, das noch zu seinem 20.Jubiläum 45 Auftritte in ganz Europa feierte.Diese Zehn-Mann-Formation nannte Joachim Ernst Behrendt einmal "die erfolgreichste europäische Band seit Django Reinhardt".Inzwischen hat Mangelsdorff, zusammen mit Wolfgang Dauner, wieder ein Quintett ins Leben gerufen, zu dem drei weitere deutsche Spitzenmusiker gehören.Neben einer Hommage an die Musik Maurice Ravels bietet es allerdings eher ordentlichen Klassizismus als berauschende Innovation.Dennoch: Mangelsdorffs spielerisch-virtuose Auseinandersetzung mit dem sperrigen Instrument dauert bis heute an.

Sein Verhältnis zur Posaune, eine kreative Balz mit dem Metall, hat der Musiker längst im Titel einer seiner Kompositionen beschrieben: "My Horn Is a Lady".Darin drückt sich zugleich die liebenswürdige Bescheidenheit des Künstlers aus.Denn Mangelsdorff ist ein Star ohne Allüren, sein Auftritt wirkt, im Vergleich zu amerikanischen Musikerkollegen, unspektakulär.Mangelsdorff in der Öffentlichkeit, ob nun als Musiker oder Leiter des Berliner Jazzfestes, hält sich bedeckt.Skandale um Sex oder Drugs hat es nie gegeben.Auch das ist Jazz made in Germany: Erfindungsgabe gepaart mit Solidität - garantiert rostfrei.

ROMAN RHODE

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