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Palast der Republik

© Thilo Rückeis

Bauen in Berlin: Rettet den Freiraum!

Ist in Berlins Mitte noch Platz für architektonische Experimente? Ob beim Stadtschloss-Beschluss, der Chipperfield- und zuletzt der Staatsopern-Debatte: Stimmen aus der jüngeren Architektengeneration waren dabei kaum zu hören. Was die jungen Wilden zum Berliner Architekturstreit sagen.

Ist in Berlins Mitte noch Platz für architektonische Experimente? Ob beim Stadtschloss-Beschluss, der Chipperfield- und zuletzt der Staatsopern-Debatte: Stimmen aus der jüngeren Architektengeneration waren dabei kaum zu hören.

Allein die „Plattform Nachwuchsarchitekten“ meldete sich zu Wort und gab in einer eher wirren Stellungnahme Allgemeinplätze zum Besten. „Vielleicht sollte Peter Dussmann die für die Sanierung zugesagten 30 Millionen Euro besser in die Musikerziehung Neuköllner Schüler stecken“, hieß es da. Der Zusammenschluss kritischer Architekten möchte „Öffentlichkeit herstellen und aktuelle Themen in manchmal polemischer Zuspitzung kommentieren“, erklärt Mitglied Theresa Keilhacker. Die Gruppe entbehrt bei ihren Positionen eines klaren Profils: historische Sanierung der Staatsoper nein, Schloss nein, Flughafen Tempelhof ja, Mediaspree in Ordnung.

„Spätestens seit der Schlossplatzdiskussion hat man das Gefühl, dass kein konstruktiver Dialog mehr möglich ist“, sagt Architekt Volker Staab, der in Dresden, Sydney und Mexiko baut, aber nicht in Berlin. „Es scheint nicht mehr um Architektur zu gehen, sondern nur um Oberflächen.“ Wo sind die jungen Wilden, die noch vor drei Jahren am Schlossplatz Furore machten, dem Zentrum der Berliner Auseinandersetzung zwischen Neu und Alt? Damals lud das Netzwerk Raumlabor die Besucher ein, den Palast der Republik mit Booten zu durchrudern und einen Berg zu besteigen, sie errichteten eine Fassadenstadt, an der jeder mitmalen konnte – ohne den Abriss verhindern zu können. Selbst die ambitioniertesten Konzepte für die Umgestaltung des Rohbaus hatten keine Chance. „Am Ende“, so Raumlabor-Architekt Benjamin Förster, „finden dann irgendwelche Politiker, Berlin sollte so aussehen wie vor 150 Jahren – ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben.“

Haben die wegweisenden jungen Büros der Internationalen Architektenszene Berlins Mitte inzwischen aufgegeben? Dass zur Zeit gerade mal 30 Architekten Konzepte für das Humboldt-Forum ausarbeiten, darunter kaum ein großer Name, spricht sehr dafür. Seltsam: In aller Welt gilt Berlin als Zukunftskraftwerk. Es gibt wohl keine andere Stadt in Europa, die für bauliche Experimente derzeit so spannend sein könnte wie Berlin. Warum werden, nachdem digitales Planen und ökologisches Denken das Bauen grundlegend verändert haben, seit Jahren keine architektonischen Signale von hier aus in die Welt gesendet? Wo sind die jungen kritischen Architekten, die den alten Bildern neue Visionen entgegensetzen?

Es gibt sie in Berlin, man sieht sie hier nur nicht. Ihre Arbeiten entstehen in Los Angeles, China und Neuseeland (Graft Architects), in Graz (Raumlabor) oder in Venedig, wo das Büro Raumtaktik dieses Jahr den deutschen Pavillon für die Architekturbiennale gestaltet. Offenbar ist es ähnlich wie mit den Künstlern: Sie leben und arbeiten in dieser Stadt, doch ihren Ruhm sammeln sie woanders.

„Die konservative Baupolitik der Neunziger hat verhindert, dass sich innovative Büros in Berlin entfalten konnten“, sagt Architekturprofessor Philipp Oswalt, der auch bei der Zwischennutzung des Palasts der Republik aktiv war. Die Jungen haben einen klaren Gegner: Hans Stimmann. Mit seiner „Kritischen Rekonstruktion“ dämpfte der frühere Senatsbaudirektor die Experimentierfreude zugunsten eines Stadtbilds des 19. Jahrhunderts mit Blockrandbebauung und Traufhöhevorgaben. Rem Koolhaas wurde es hier schon 1991 zu eng, Wolfram Pütz von Graft Architects spricht von einem „Herrenzirkus fehlgeleiteter Alt68er“. Auch Benjamin Förster von Raumlabor schimpft auf Stimmann, der im neuesten Raumlabor-Buch einen Auftritt als Comicfigur hat.

Mit seinen temporären Architekturen und dem aktivistischen Ansatz bildet das Netzwerk eine Antithese zur StimmannSchule. Man wolle „ein Dorn sein in der Dickfelligkeit der urbanen Textur“. In Graz entwirft Raumlabor das Festivalgelände für den Steirischen Herbst, mit einer stehenden Explosion frei nach der Schlussszene von Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“. „Und im September bauen wir ein U-Boot und fahren von Mannheim nach Ludwigsburg.“ Das ist der spielerische Geist, den alle an Berlin so lieben – außer wenn gebaut wird. Noch immer scheint in Teilen zu gelten, was Kurt Tucholsky 1919 sagte: „Berlin vereint die Nachteile einer amerikanischen Großstadt mit denen einer deutschen Provinzstadt.“

Schillernde Alternativen zum Althergebrachten bieten auch Graft Architects, die in Berlin mit ihrer „Wolke“ als Entwurf für die temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Die unbekümmerte, freundliche, von akademischem Ballast befreite Architektur überraschte in Berlin. „In Amerika dagegen wurde nach den Algorithmen gefragt“, erzählt Lars Krückeberg amüsiert, „das sei kein guter parametrischer Entwurf, sagten sie uns dort.“ Auch wenn die Realisierung der Wolke trotz des Zuspruchs der Öffentlichkeit an der Finanzierung scheiterte, zeigt die Anekdote, wie anachronistisch Architekturdiskussion hierzulande manchmal ist: Die Graft-Architekten gingen zum Studium nach Kalifornien. „Da wurde eine halbe Generation verschenkt,“ klagt Krückeberg.

Das sieht Michael Braum ähnlich, der mit der 2007 gegründeten Bundesstiftung Baukultur den Kontakt zwischen Architekten und Öffentlichkeit stärken will. „Der kritische Diskurs darüber, was Architektur und Städtebau ausmacht, ist wenig ausgeprägt“, sagt Braum, allerdings bilde sich an den Universitäten derzeit ein neues theoretisches Denken aus. Am Rollback trage auch die Öffentlichkeit Schuld: „Für solche Debatten interessieren sich nur zehn Prozent der Bevölkerung. Der Rest will die Stadt des 19. Jahrhunderts.“ Architektur sei zwar wieder medienfähig, „aber nur die Label-Architektur wie Graft, Libeskind und Zaha Hadid“.

Labelarchitektur? Wenn Wolfram Pütz von Graft das hört, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und ruft: „Ich hab’ Spaß am Leben, Entschuldigung!“ Dass Graft eher mit Brad Pitts Luxusvilla in Verbindung gebracht wird als mit ökologischen Bauten in Japan, dafür kann er ja nichts. Anders als noch in den Siebzigern melden sich Architekten heute nicht mehr mit großen Schriften zu Wort – sie bauen lieber. Pütz’ Kritik am Staatsopern-Wettbewerb fällt ebenfalls eher pragmatisch aus: „Wie kann man einen Wettbewerb ausschreiben, ohne sich vorher klar zu werden, was man will? Das ist Verschleuderung von Bruttosozialprodukt.“

Ein Satz wie der von Hans Kollhoff (von dessen Hochhaus am Potsdamer Platz die Ziegel herunterfallen), man müsse auf Altes zurückgreifen, weil heute nicht mehr gut gebaut werden könnte, macht Pütz wütend. „Wie wenig Vertrauen hat der denn in sich und seine Zunft! Traut Euch mehr zu!“ Am liebsten würde er auch die Wohnblocks im Osten abräumen, „weg das Zeug, auf zu neuen Ufern!“

Im Auftrag des Senats macht Graft sich derzeit Gedanken um die City West und Raumlabor um das Tempelhofer Feld. Die Politik der neuen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher wird zwar nicht als radikaler Wandel, aber als Stimmungsveränderung registriert. Wilfried Kuehn, der mit dem Büro Kuehn-Malvezzi die Rieckhallen am Hamburger Bahnhof gestaltete und das Gewerbemuseum umbauen wird, sieht in der temporären Kunsthalle von Adolf Krischanitz den Beweis, dass in Berlin neue Ansätze möglich sind. „In der Blockpolitik ging es nur um Straße und Platz. Es gibt aber viel mehr: Resträume, Zwischenräume, temporärer Räume, Individualräume. Uns geht es um Freiräume.“

Wenn Freiraumdenken derzeit in Berlin ein Gesicht hat, dann das von Carsten Joost. Mit dem Bürgerbegehren gegen das Großprojekt Mediaspree wurde der 42-Jährige zum Helden des Widerstands gegen Stadtplanung von oben. Er wehrt sich gegen sein Image als Investorenschreck: „Niemand ist hier in der Lage zu bauen, es ist wie Schattenboxen.“ Er hat nichts gegen Blockrandbebauung, solange das soziale Gefüge stimmt: „Ein vielschichtiger Kiez entsteht nur in Zusammenarbeit verschiedener Baugruppen und Genossenschaften.“ Die von ihm vorgeschlagene Mischnutzung der Uferflächen mit Pavillons, Stadtteilhäusern und Spielplätzen findet Unterstützung von unerwarteter Seite: von Ex-Bausenatsdirektor Hans Stimmann, in dessen Amtszeit die Planung der Spreeraumbebauung fiel.

„Auf der einen Seite die Guten, auf der anderen die Chaoten, so einfach ist es nicht“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Forderungen nach einer größeren Uferpromenade und nach Erhöhung des Wohnanteils findet er „absolut richtig“.Der Dogmatist der Blockrandbebauung entdeckt die Freifläche? „Das schließt sich nicht aus“, findet Stimmann. „Ich wehre mich dagegen, das so dogmatisch zu sehen.“ Wenn selbst solche Allianzen möglich sind, wird vieles denkbar.

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