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Kultur: Baumgeister beim Blütentanz

Akira Kurosawas Vermächtnis „Träume“ kommt erneut ins Kino

Von Susanna Nieder

Ein Junge bekommt von seiner Mutter einen Harakiri-Dolch, weil er den Füchsen im Wald bei der Hochzeit zugesehen hat. Ein anderer weint bitterlich um den Pfirsichhain, den seine Familie abgehauen hat, woraufhin er ein letztes Mal den Baumgeistern beim Blütentanz zusehen darf. Ein Bergmann wird fast vom Schneesturm in Gestalt einer schönen Frau überwältigt, ein Maler steigt in ein Bild von van Gogh und sucht den Meister seiner eigenen Landschaft. Akira Kurosawa, der große alte Mann des japanischen Kinos, drehte 1990 den Episodenfilm „Träume“, der sein Vermächtnis werden sollte, auch wenn er noch zwei weitere Filme vollendete und erst 1998 mit 88 Jahren starb.

Der greise Filmemacher stößt die Tür zu einem Ort auf, den man mit angehaltenem Atem betritt. Träume sind persönlicher als ein Tagebuch, weil der Träumende einer nur vage bekannten Welt ausgeliefert ist. In acht Vignetten träumt Kurosawa von seiner Kindheit, von seinen Anfängen als Maler, träumt eine von den Menschen verwüstete Zukunft und zuletzt ein utopisches Idyll. Die Bilder wirken in ihrer Komposition und Farbigkeit wie Gemälde, sie strahlen eine Ruhe aus, in der jedes Geräusch, ob Musik oder das wortlose Keuchen der Bergleute im Schneesturm, verstärkt beim Zuschauer ankommt.

Erhöht wird der Eindruck surrealer Traumwelten durch eine Stilisierung, die eher dem Theater entspricht als dem Film. Die Füchse auf der Hochzeitsprozession sind Mimen in traditionellen Kostümen, das Gesicht der Frau im Schneesturm verzerrt sich zu einer Maske, als van Gogh tritt Martin Scorsese auf. Bis auf die Kinder in den ersten beiden Episoden wird Kurosawas träumendes Ich von Akira Terao gespielt, der forschend durch die wundersame Welt stolpert.

Am stärksten ist die Episode, in der ein aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrender Kommandant an einem Zähne fletschenden Hund vorbei in einen Tunnel geht. Als er auf der anderen Seite herauskommt, folgen ihm Schritte. Im nächsten Moment steht ihm ein Soldat mit kalkweißem Gesicht gegenüber, der nicht begreifen kann, dass er tot ist und seine Eltern umsonst auf ihn warten. Der Kommandant schickt ihn schweren Herzens zurück in den Tunnel, doch sobald er verschwunden ist, erscheint ein ganzer Heerzug toter Soldaten. Der Kommandant, der am Tod all’ dieser Soldaten schuld ist, schickt auch sie mit der Bitte um Vergebung zurück. Der Alptraum scheint vorbei, da kommt der Hund zurück, knurrend, die Zähne gefletscht: Er wird nie mehr von ihm lassen.

Nur den letzten drei Episoden merkt man dreizehn Jahre später die Hauptsorge ihrer Entstehungszeit an. „Der weinende Dämon“, in dem sich die Verantwortlichen für die Verwüstung der Erde in Schmerzen winden wie auf einem Gemälde von Hieronymus Bosch, besitzt die gleiche über der Zeit schwebende Poesie wie die anderen Geschichten, nur der Alptraum einer Atomkatastrophe „Der Fuji in Rot“ und das Naturidyll „Das Dorf der Wassermühlen“ wirken heute didaktisch und sperrig. Ein Meisterwerk bleibt „Träume“, der nun als Wiederaufführung ins Kino kommt, dennoch.

Blow up, Filmbühne am Steinplatz (beide OmU)

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