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Diese Bürger würden die Religionsfreiheit vermutlich gerne einschränken. Demonstration der rechten Partei Pro NRW. Foto: ddp

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Extremismusforschung: Befunde am Krankenbett der Demokratie

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Der Rechtsextremismus gehört zu Deutschland. Er siedelt nicht mehr am rechten Rand. Als Extremismus einer nicht mehr immunisierten Mitte lässt er sich im Zentrum der Gesellschaft nieder, in allen Schichten, bei allen Generationen.

Von Caroline Fetscher

Der Extremismus gehört genauso zum Land, wie die Glaubensgemeinschaften, denen der Bundespräsident dies unlängst attestierte, wie die Begeisterung für Fußball, die Kälte gegen Kinder, die Zuneigung für Haustiere und Gartenzwerge oder the German Angst vor der Zukunft. „Rechtsextreme Einstellung ist in allen Bevölkerungsgruppen weit verbreitet“ – das ist der klare Befund, den eine eben von der Friedrich-Ebert- Stiftung publizierte Studie präsentiert. Nichts weniger wird hier belegt, als dass die Identifikation mit Demokratie und Verfassung in breiten Schichten der deutschen Bevölkerung fehlt oder doch, in Zeiten drohender, verunsichernder Prekarisierung, extreme – im Wortsinn extreme – Mängel aufweist.

Aufhorchen lässt dieser brisante, zeitdiagnostische Befund am Krankenbett der Demokratie, erschienen unter dem Titel „Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“. Sie fordert zum Handeln auf, während sie zugleich auf höchst produktive Weise klassische, soziologische und tiefenpsychologische Methoden aktualisiert, die auf Wissenschaftler wie Max Weber, Adorno, Horkheimer, Erich Fromm oder Seymour Martin Lipset rekurrieren.

Mithin bietet diese Studie ungleich mehr, als das Dutzend ihrer in diesen Tagen häufig zitierten Schockstatistiken. Danach stimmen etwa 34,4 Prozent der Bundesbürger der Reizfrage zu: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Jeder Fünfte teilt die Ansicht, was Deutschland jetzt brauche, sei „eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, und 75,7 Prozent der Ostdeutschen würden die Religionsausübung von Muslimen gern erheblich einschränken. Nicht einmal die Hälfte der Befragten (41 Prozent) verwerfen diese Äußerung komplett: „Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen.“ Kaum die Hälfte, 45,7 Prozent, sind der Ansicht, dass der Nationalsozialismus überhaupt keine „guten Seiten“ hatte. 54 Prozent geben der Demokratie, so wie sie in der Bundesrepublik funktioniert, keine Zustimmung.

Signifikant sind die Unterschiede zwischen Befragten mit Abitur und solchen ohne: Je gebildeter, desto demokratisch gefestigter lautet die Faustregel. Erkennbar wird 2010 vor allem eine „zunehmende Zustimmung zu diktatorischen, chauvinistischen und ausländerfeindlichen Aussagen“. Das könne, so die Verfasser der Studie, als erste Reaktion auf die wirtschaftliche Krise verstanden werden. Untersucht werden auch Einstellungen zu Antiamerikanismus, Politik und Partizipation, sozialer Kälte im Alltag, Globalisierung, Antikapitalismus und Islamfeindlichkeit. So sind etwa 47,3 Prozent der Befragten überzeugt, dass die US-Amerikaner „daran schuld“ sind, „dass wir so viele Weltkonflikte haben“. Im Antisemitismus und Antiamerikanismus sehen die Autoren mit Dan Diner eine „Personifizierung von Modernisierungsfolgen“, Folgen, für die Sündenböcke gesucht werden.

Sechs Dimensionen rechtsextremer Einstellungen nimmt diese Studie in den Blick: Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Aus dem Material, aufbereitet und analysiert unter Leitung der Leipziger Forscher Oliver Decker, Marliese Weißmann, Johannes Kiess und Elmar Brähler mit ihrem Team, lässt sich, wie die Autoren zeigen, weitaus mehr destillieren, als die bloßen Ziffern und Zahlen suggerieren. So bietet sich „Die Mitte in der Krise“ als Pflichtlektüre für Politiker, Lehrer, ja, für sämtliche verantwortlichen Funktionseliten der Demokratie an.

Schon die Vorgängerstudien hatten beunruhigende Ergebnisse hervorgebracht. Drastisch verschärft sich jedoch jetzt, in den Zeiten der Abstiegsängste, der Gesamtbefund. Daher, so die Autoren, sei es „höchste Zeit, die Suche nach den Ursachen zu intensivieren“. Wie und von wo schleicht sich der Rechtsextremismus in die Mitte ein? Womöglich wirkt Wohlstand wie eine „narzisstische Plombe“ im System, und wenn die Plombe herausbricht oder wackelt, kommen die darunter verkapselten, demokratiefeindlichen Ressentiments zum Vorschein. Zu dieser Auffassung gelangen die Forscher. Da die „Plombe“ seit dem Erhardschen Wirtschaftswunder über Generationen einfach weitergereicht worden sei, blieben unter ihrer Kapsel dieselben Ressentiments konserviert. Wird nun der Konsumstandard durch Markterschütterung bedroht, tendieren große Teile der Bevölkerung dazu, ihre narzisstische Kränkung an „Fremden“ und Minderheiten, etwa Juden, Moslems und Transferleistungsempfängern, abzureagieren.

Als eskalierendes Moment tritt die Prägung durch gewaltsame Erziehung hinzu, die Korrelation zwischen rechtsextremen Haltungen und physischer oder symbolischer Gewalt in der Sozialisation lässt sich auch für die Ära der postmodernen Vaterlosigkeit nachweisen. Weder im Elternhaus noch durch Schule, Freundeskreis oder Medien erfahren und erhalten viele junge Leute eine hinreichend positive, emotionale Einstellung zur Demokratie. Indes schüren die medialen Vorführungen arbeitsscheuer Arbeitsloser wie des sogenannten „Florida-Rolf“ oder die Bilder gefesselter Asylanten vor der Abschiebung das Ressentiment gegen vermeintlich Andere. Im Empfinden politischer Ohnmacht gegen „die da oben“ erkennt die Studie zugleich eine weitere Ursache für die Zunahme von Demokratieskepsis.

Soziologische Erhebungen wie die vorliegende begannen in der jungen Bundesrepublik, als viele Akteure, allen voran Omgus (Office of Military Government for Germany, US), das Allensbacher Institut für Demoskopie (das die Omgus-Fragen übernahm) sowie das Frankfurter Institut für Sozialforschung die unerfahrene „Demokratie ohne Demokraten“ wieder und wieder derlei Tauglichkeitstests unterzogen. Mit einer begriffsklärenden Expedition durch die Landschaft der Deutungsansätze befasst sich der beeindruckende Einleitungsteil von „Mitte in der Krise“. Einleuchtend legitimieren die Autoren dabei ihren Bezug auf einen soziologischen „Meilenstein“, die Studien zum autoritären Charakter (Adorno et al. 1950), deren empirischen Teil damals Erich Fromm verantwortete.

Im Oktober 1948 ermittelte das Allensbacher Institut 57 Prozent Zustimmung und 28 Prozent Ablehnung zu der Behauptung: „Der Nationalsozialismus war eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde.“ Im Mai 1955 bejahten noch 48 Prozent der Befragten die Aussage, dass Hitler als großer Staatsmann gelten könne, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Im Mai 1964 war der Prozentsatz in dieser Frage auf 29 Prozent geschrumpft – betrug jedoch immerhin noch fast ein Drittel. Heute lehnt eine knappe Mehrheit (51 Prozent) die Aussage ab: „Ohne die Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.“

Theodor W. Adorno bedauerte 1959, die Demokratie habe sich „nicht derart eingebürgert, dass sie die Menschen als ihre eigene Sache erfahren“, so zitiert ihn die Ebert-Studie. Erst Mitte der sechziger Jahre dann gaben mehr als 60 Prozent der Bürger bei Befragungen ihre Zustimmung zur Demokratie zu Protokoll. Erneut und verstärkt, mit allen klugen Mitteln, wird man nun um diese Zustimmung werben müssen. Unbeleuchtet bleibt in dieser Studie allerdings ein besonderes Paradoxon der Gegenwart, in der zwei Typen autoritärer Denkweisen aufeinanderprallen. Während autoritäres Denken, körperliche Gewalt in der Erziehung und Antisemitismus gerade bei vielen Migranten aus muslimisch geprägten Gesellschaften verbreitet sind, werden gerade diese Muslime konfrontiert mit den Ressentiments der narzisstisch gekränkten, krisenverunsicherten Deutschen. Zwei demokratieferne Gruppen antagonisieren einander.

Aufklärung und nochmals Aufklärung ist gefragt. Wo ein Staat 140 Milliarden Euro für eine kranke Bank übrig hat, sollte er wenigstens ein Zehntel dieser Summe in die politische und ethische Bildung der Heranwachsenden investieren. Nur wenn gründliche, kreative demokratische Aufklärung der heranwachsenden Generation gelingt, wenn in diesen Teil der Bildung massiv investiert wird – schon im Kindergarten, schlägt die Studie vor – wird die deutsche Demokratie mit Leben erfüllt.

Die Studie im Internet unter:

library.fes.de/pdf-files/do/07504.pdf

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