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Das Pult, an dem er sich wohlfühlt. Der Niederländer Stijn Berkouwer, Jahrgang 1984, hat in Berlin Orchesterdirigieren studiert.

© HfM Hanns Eisler Berlin/Janine Escher

Begegnung mit einem Dirigierstudenten: Der Stabhochspringer

Bewerben? Nein! Ein Dirigent, der wird gefragt: Stijn Berkouwer hat für sein Examen an der Berliner Hochschule für Musik "Hanns Eisler" eine Mozart-Oper einstudiert. Am Wochenende wird "La Finta giardiniera" aufgeführt.

„Einfach blöde“ nannte Hans Neuenfels das Libretto von Mozarts früher Oper „La finta giardiniera“, als er vor eineinhalb Jahren das Werk an der Berliner Staatsoper inszenierte. Aus der Neuenfels-Produktion sind komische Obszönitäten und eindrucksvolle Bilder in Erinnerung geblieben. Die Handlung, die der Regisseur allerdings mit eigenen Einfällen „überschrieb“, hat man dagegen komplett vergessen. Die „Gärtnerin aus Liebe“ (so der deutsche Titel) erzählt von sieben unglücklich über Kreuz verliebten Personen, die zum Teil unter falscher Identität auftreten und in allerlei völlig undurchschaubare Intrigen verstrickt werden.

Allerdings: die Musik. Mozarts Vater Leopold schrieb an seine Frau vor der Uraufführung des Werks in München: „Alle, die die Proben gehört haben , sagen, dass sie noch keine schönere Musik gehört, wo alle Arien schön sind.“ Das ist sehr wahr: Alle Arien sind schön. Mozart war zum Zeitpunkt der Komposition zwar erst 18, „aber bei ihm muss man eigentlich immer 20 Jahre dazurechnen“, sagt Stijn Berkouwer beim Probenbesuch.

Er hat beim "Rosenkavalier" bei Simon Rattle assistiert

Der junge holländische Dirigent gehört zu dem Leitungsteam, das die „Finta giardiniera“ am kommenden Sonnabend an der Hochschule für Musik Hanns Eisler herausbringt. Mit der Opernproduktion bestreitet der 1984 geborene Künstler seinen Masterabschluss im Studiengang Orchesterdirigieren. Berkouwer hat mit seiner Kollegin Erina Yashima die Probenzeit als Korrepetitor begleitet und dirigiert die Hauptprobe sowie zwei Aufführungen der Oper. Andere Absolventen des Studiengangs gastieren für ihr Examen beim Konzerthausorchester am Gendarmenmarkt. Möglicherweise der prominentere Auftritt. „Aber bei der kompletten Neueinstudierung einer Oper kann man sicher mindestens genauso viel lernen.“

Berkouwer ist erst nach einigen Umwegen zum Dirigieren gekommen. Zunächst wollte er selbst auf der Bühne stehen und besuchte ein Jahr lang die Schauspielschule in Amsterdam. Erst im Rahmen des sich anschließenden Kompositionsstudiums stellte er bei der Einstudierung eigener Werke fest, dass er sich dauerhaft am Dirigentenpult am wohlsten fühlt. Natürlich erzählt auch Berkouwer von den bekannten Schwierigkeiten, in diesem Beruf Erfahrungen zu sammeln. Im Unterschied zu anderen Musikern kann der Dirigent seinen Klangkörper ja nicht in den Instrumentenkoffer packen und zum Üben mit nach Hause nehmen. Auch die Karriereplanung ist kompliziert. „Als Dirigent bewirbt man sich nicht. Man muss von Orchestern eingeladen werden.“ Wobei Einladungen vom Bekanntheitsgrad abhängen, der wiederum frühere Einladungen voraussetzt. Eine Art Teufelskreis also. Dabei hat Berkouwer bereits viel erreicht.

Der auf sympathische Weise selbstbewusste Dirigent hat bei einem „Rosenkavalier“ unter der Leitung von Sir Simon Rattle assistiert, Meisterkurse bei Peter Eötvös und beim finnischen Dirigentenguru Jorma Panula besucht und Aufführungen so unterschiedlicher Werke wie der rauschhaften Turangalila-Sinfonie Olivier Messiaens, Mahlers vierter oder von Mozarts „Le nozze di Figaro“ mit einem von ihm selbst gegründeten Orchester geleitet. Erst im März war Berkouwer als einer von fünf Dirigenten an der Aufführung von Michael Wertmüllers spektakulärer Komposition „Zeitkugel“ am Konzerthaus beteiligt. Und mit der Sächsischen Bläserphilharmonie spielte er eine CD mit Neuer Musik ein. Auf ein spezifisches Repertoire will sich der Künstler nicht festlegen lassen. Nach dem Abschluss seines Studiums wird er wieder nach Amsterdam umziehen, dem lieb gewonnenen Berlin aber weiter die Treue halten.

Valery Gergiev bewundert er. Auch Rattle und Carlos Kleiber

Als Niederländer fühlt sich Berkouwer dem Concertgebouw Orchester und dessen langjährigem Chef Bernard Haitink besonders verbunden. Außerdem bewundert er Valery Gergiev, dem die Musik „in jeder Pore“ sitze, Simon Rattle und Carlos Kleiber, das Idol fast aller Dirigenten. „Für jede seiner Gesten könnte man ungefähr zwei Monate lang studieren.“

Bei der Hauptprobe wirken Stijn Berkouwers eigene Gesten äußerst souverän, er besitzt offensichtlich ein sicheres Gespür für die Balance zwischen Streicher- und Bläser-Abteilung und weiß genau, an welchen Stellen man die Lautstärke zugunsten der Sänger zurücknehmen muss. Nüchtern schlägt die rechte Hand den Takt, während die linke Akzente knallen lässt.

Überhaupt klingt das hochschuleigene, von der couragierten Konzertmeisterin Célia Schann angeführte Orchester großartig. An der Hochschule greift man auf eine spätere, neu instrumentierte Opernfassung zurück, die erst durch die gefeierte Einspielung von René Jacobs bekannt geworden ist. Der hauptverantwortliche Dirigent Clemens Flick ist ein Spezialist für Alte Musik, er begleitet selbst virtuos die Rezitative und hat die Studenten auf einen elastischen, rhetorisch versierten Mozart-Klang eingeschworen.

Bei den letzten Proben klappt nicht alles. Der Theateraberglaube sagt: Gut so!

Auch für die Sängerinnen und Sänger der Hochschule scheint die Stückwahl ideal: Mozarts Oper bietet sieben nahezu gleichwertige Rollen und neben den zahlreichen „schönen Arien“ eine ganze Reihe von wunderbaren Ensembles wie, gleich zu Beginn, ein umfangreiches Quintett. In der Produktion sind alle Rollen mit lauter verheißungsvollen Stimmen doppelt besetzt, nur der spielfreudige Tenor Manuel Gómez Ruiz ist bei allen Aufführungen dabei. In der Inszenierung übernimmt er neben der Partie des Podesta zusätzlich die Rolle eines „On-stage“-Regisseurs bei laufender Veranstaltung.

Bei den letzten Proben geht schon noch hier und da was schief. Soll es ja auch, da einem alten Theateraberglauben zufolge Proben-Missgeschicke die Erfolgsaussichten der Premiere steigern. Regisseur Nino Sandow, Professor für szenischen Unterricht an der Hochschule, setzt vor allem auf komische Effekte und ergänzt die verworrene Handlung um die „Gärtnerin aus Liebe“ mit Comedy-Elementen, Bühnenumbauten bei offenem Vorhang inklusive. Mehr darf hier aber vor der Premiere nicht verraten werden. Die Aufführung wird jedenfalls vielversprechend. Und von Stijn Berkouwer wird man ohnehin noch viel hören.

Hochschule für Musik Hanns Eisler,Hochschule für Musik Hanns Eisler, Studiosaal, Charlottenstr. 55, Mitte, Sa 26., Mo 28., Mi 30.4., Fr 2., So 4., Mo 5.5., jeweils 19 Uhr, am 4.5. um 16 Uhr

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