zum Hauptinhalt

Begegnungen mit Schlingensief: Flackern in der Höhle

Vor einer Woche starb der Regisseur Christoph Schlingensief. Seine Arbeit hat begeistert, aufgewühlt und verstört. Erinnerungen an einen großen Künstler.

Es ist das Jahr 1992. In Deutschland brennen Asylbewerberheime, bei den Hofer Filmtagen gibt es tapferes Betroffenheitskino – und Schlingensiefs „Terror 2000“. Bei ihm trieft nicht das Mitleid, sondern das Blut. Polizisten jagen Asylbewerber, Michael Kühnen, Wolfgang Schäuble und die Geiselgangster von Gladbach treten auf, es wird brutal gefickt und munter gemetzelt. Deutschland, ein Splattermovie.

In Hof wird dem Filmemacher Faschismus vorgeworfen. Weil er einen Neonazi spielt und den Satz „Die Scham ist vorbei“ in grausiger Konsequenz fortspinnt. Jeder Deutsche eine Bestie? Aggressiver Fatalismus tut gut bei so viel linkem Wohlfühlkino, aber eine Alternative ist es auch wieder nicht. Einer, der so böse Filme dreht, kann nur ein Unsympath sein. In der fränkischen Gaststube des Hotels Strauß sitzt dann aber ein unglaublich freundlicher Mensch, der katholische Kindheitserinnerungen austauscht, der Messdiener aus Oberhausen mit der Nonnenschülerin aus Trier. Man kriegt es kaum zusammen, den Bilderterror und diesen Schlingensief, der sanft bleibt, noch wenn er laut wird, der sagt, er ist der Christoph, er war 16 Jahre Messdiener und er glaubt an den Beichtfilm, an Bilder, die etwas über die Zeit ihrer Entstehung preisgeben.

Das ist so geblieben bei Schlingensief, seine Schule der Grausamkeit, in der zunehmend Zärtlichkeit aufschien. 13 Jahre später der Bayreuther „Parsifal“, seine Geisterbahnfahrt des 21. Jahrhunderts. Wie ein Kind spielt er mit dem Globus, aber seine Figuren leiden darunter, dass sie kaputtgehen wie Vieh und der Tod sich einen Dreck um ihre Einmaligkeit schert. Keine Zertrümmerung diesmal, sondern großes Trümmertheater: Unsere Leichen singen noch. Und all die sich überlagernden Projektionen samt dem verwesenden Hasen sind eine Offenbarung, denn man kann sich selber beim Denken zusehen, bei dem, was dem Denken vorausgeht, der Sehnsucht, der Furcht, der Seelenpein. Wieder eine Blackbox, ein Beichtfilm.

Vielleicht ist alles von Schlingensief Höhlenmalerei. Wir haben Angst, wir kriegen es nicht in den Griff, Deutschland nicht, die Welt nicht und nicht das Universum im Kopf. Schlingensief hat diese Angst verstanden wie kaum einer, und er hat das Flackerlicht in die Höhle gebracht, die Schattenrisse, Doppelgänger und Seelenwanderer, die bleiben werden von seinem flüchtigen Werk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false