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Ausschnitt aus dem Buchcover.

© promo

Ben Okris Gedichtband "Wild": Wie uns die Alten sungen

Grenzgänger zwischen Großbritannien und Afrika: Mit dem Band "Wild" sind nun erstmals die Gedichte des nigerianischen Schriftstellers Ben Okri in einer zweisprachigen Ausgabe zu entdecken.

Von Gregor Dotzauer

Die Poesie, schreibt er in seinem Essayband „A Time For New Dreams“ (Rider 2011), „steht uns näher als die Politik, und sie ist uns so wesenhaft wie Gehen oder Essen“. Für Ben Okri ist sie „die unerhörte Melodie eines Lebens, das in unermessliches Schweigen zurückkehrt“, ein Klang, den Dichter zwischen dem Empfinden innerer Ewigkeit und dem Wissen um die äußere Vergänglichkeit nur hörbar machen.

In „Wild“, seinem ersten auf Deutsch erschienenen Lyrikband, reicht diese Melodie vom Gesang der Vögel bis zum großen Wehklagen über Kriege und Katastrophen. Sie schlägt den Bogen vom Privatesten ins Historische, und sie verkehrt mühelos zwischen belebter und unbelebter Natur. Ben Okri, 1959 in Minna, der Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaats Niger geboren und von Kind an ein Grenzgänger zwischen Großbritannien und Afrika, pflegt ein durchaus altmodisches – oder vielmehr: archaisches – Verständnis von Poesie. Und zugleich sind seine Verse von schmerzhafter Gegenwärtigkeit, gerade weil sie den Dialog mit Homer, Horaz, Vergil, Dante oder Heraklit im Bewusstsein anschwellender Migrationsströme und ökonomischer Ungerechtigkeiten suchen.

Okris Gedichte leben dabei von unsichtbaren Übergängen zwischen altem Europa und mythischem Afrika, Traum und Wirklichkeit – und bei alledem von einer Berufung zum Höheren, vor der nur der Einzelne immer wieder versagt. „Towards the Sublime“ (Dem Erhabenen entgegen) heißt eines der Gedichte. Es gibt die Richtung aller Wandlungen und Verwandlungen vor, die sich in diesem Buch ereignen.

Als Erzähler schon mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Ben Okri.
Als Erzähler schon mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Ben Okri.

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Den Anfang macht ein Gedicht über die tote Mutter, den Schluss eines über den toten Vater. Dazwischen in schlichtem, kraftvollem, meist freirhythmischem Ton mit gelegentlichen Reimanwandlungen der Versuch, alles mit allem in Verbindung zu bringen. Denn „die Alten sahen / Die Welt, wie sie ist, / Ein System des Zusammenspiels, / In dem die Dinge sowohl sie selbst sind / Als auch Symbole und Bezüge.“ Halluzinatorisch leuchtend „Der blaue Schal“, mit dem inmitten einer Flutkatastrophe in Mosambik eine Mutter ihre Kinder rettet – „mächtiger / Als die mächtigen Nationen, / Die zuschauen und nichts tun.“ Beklemmend „Die Schreiende“, deren Umnachtungsausbrüche das lyrische Ich mit dem israelischen Angriff aufs palästinensische Jenin 2002 (hier fälschlicherweise noch als Massaker bezeichnet) zusammenspannt – und zwar an einer ganz anderen Stelle der Welt. Brigitte Oleschinskis Übersetzungen taugen als solide Handreichung zur Lektüre der Originale. An deren elementare Wucht reichen sie leider nicht heran.

Ben Okri: Wild. Gedichte. Englisch – Deutsch. Übersetzt von Brigitte Oleschinski. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2014. 184 Seiten, 18,90 €.

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