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Back to the Sixties. Vor bald 50 Jahren ließ Alan Kaprow seine Eisblock in Pasadena bauen. Ein halbes Jahrhundert später wird das Ur-Happening in Berlin auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie wiederholt.

© Julian Wasser

Berlin Art Week: Neue Nationalgalerie inszeniert Happening an fünf Orten

Barrieren überwinden, neue Sphären erobern: Weil die Neue Nationalgalerie saniert wird, kommt Allan Kaprows „Fluids“ in den Stadtraum.

Der Mies-van-der-Rohe-Bau wegen Sanierung geschlossen? Kein Problem. Die Neue Nationalgalerie ist ohnehin auf dem Weg nach draußen, muss sie doch das Haus für die Sanierung ausräumen. Sie nimmt es wörtlich und geht gleich auf die Straße. „Stadt/Bild“, das Thema der Berlin Art Week, wird hier konkret. Allan Kaprow (1927 – 2006), der amerikanische Aktionskünstler, ist für den Gang ins Freie der denkbar beste Pate. Ihn hat immer schon bekümmert, dass die Kunst im Museum eingesargt wird.

Der Erfinder des Happenings sah sein Betätigungsfeld im sozialen Raum, außerhalb der institutionellen Grenzen. Seine Stücke, für die er einfache Handlungsanweisungen schrieb, sogenannte Partituren, konnten überall stattfinden: auf dem Parkplatz, in Wohnungen, im Supermarkt. Heute existieren davon nur noch die „Scores“, die Anleitungen, und filmische Dokumente. Mal reflektieren sich Darsteller im Spiegel, mal hecheln sie sich am Telefon etwas vor, oder eine Spaziergängerin zieht ihren Schuh am Schnürsenkel hinter sich her.

Für Kaprows ephemeres Werk bestand also kaum je die Gefahr, im Museum eingemauert zu werden. Zugleich erfuhr er eben wegen der flüchtigen Natur seines Werks nie die gebührende Anerkennung. Bis heute ist Kaprows Schaffen einem großen Publikum kaum bekannt, daran haben auch die Retrospektive im Münchner Haus der Kunst 2006 und Christoph Schlingensiefs Hommage „Kaprow City“ an der Berliner Volksbühne nichts geändert.

Kaprow ist ein Künstler für Künstler geblieben, dem heutige Performer wie Tino Sehgal, John Bock, Jonathan Meese viel verdanken. Mit ihnen hat die Beziehung zwischen den Künsten wieder zu florieren begonnen. Was in den Sechzigern gang und gäbe war, das Zusammenspiel von Tanz, Musik, Malerei, wie es am amerikanischen Black Mountain College gelehrt wurde, wird wieder zunehmend von den Institutionen befördert. Die Berufung des Tate-Modern-Direktors Chris Dercon an die Berliner Volksbühne ist dafür der deutlichste Indikator. Der Widerstand dagegen zeigt, wie hartnäckig die Abgrenzungen noch immer sind.

Damals wie heute hilft Verflüssigung. Wegen seines Unbehagens gegenüber dem Museum organisierte Kaprow 1967 parallel zu seiner Retrospektive im Pasadena Art Museum die Aktion „Fluids“. An zehn verschiedenen Plätzen ließ der Künstler einen Kubus aus Eisblöcken mauern, der im Moment seines Entstehens schon in einen anderen Aggregatzustand überging und nach zwei Tagen verflüssigt war. Die Ironie dürfte auch den Machern der Retrospektive nicht entgangen sein: Ein Kaprow ließ sich beim besten Willen nicht fürs Museum vereinnahmen.

Ein Museum befragt sich nach seinen eigenen Möglichkeiten

Heute steckt darin vielleicht die Lösung für die Interimszeit der Neuen Nationalgalerie: rausgehen, Barrieren überwinden, neue Sphären erobern. Nachdem mit Otto Piene der Luftraum über dem Mies-Bau erkundet und mit der Kraftwerk-Konzertserie die Verbindung zum Pop aufgenommen wurde, folgt nun als Nächstes die Intervention im Stadtraum. Ein Museum befragt sich nach seinen eigenen Möglichkeiten.

Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann geht es im Dreischritt an. Zunächst wird auf der Terrasse des Mies-vander-Rohe-Baus, die noch kein Bauzaun umkränzt, die historische Version des Happenings inszeniert. Dort wird an diesem Dienstag ab 11 Uhr ein Eiskubus von 9 mal 3 Metern mit einer Höhe von 2,40 Metern errichtet. Ein schönes Bild – der gläserne Tempel der Moderne und davor ein Pendant aus Eis.

Mies bleibt, sozusagen für die Ewigkeit gebaut, Kaprow verschwindet, ein Statement für die Zeitlichkeit. In den nächsten vier Tagen der Art Week übernehmen den Staffelstab dann zeitgenössische Künstler, die den Auftrag zu einer „Reinvention“ erhielten: einer Neuerfindung des Happenings, wie es sich auch Kaprow vorgestellt haben könnte, der immer offen für eine Fortschreibung seiner Partituren war. In Zeiten des Internet besitzt sein vor 50 Jahren entwickeltes Konzept einer offenen Autorschaft erstaunliche Aktualität.

Antje Majewski geht mit Künstlerkollegen am Mittwoch ab 10 Uhr auf eine Grünfläche an der Lehrter/Ecke Seydlitzstraße. Dort bauen sie gemeinsam aus nützlichen Gegenständen – Pflanzen, Büchern, Kleidungsstücken – einen Block in den Dimensionen Kaprows nach, der sich ab 16 Uhr ebenfalls wieder verflüchtigen wird. Die Anwohner der heterogenen Nachbarschaft, die vom Flüchtlingsheim bis zum Luxusapartment reicht, dürfen sich bedienen.

Zwischen sozialer Komponente und imaginärem Potenzial

Während bei dieser Neuinterpretation die soziale Komponente im Vordergrund steht, hebt das Künstlerkollektiv „Stadt im Regal“ auf das imaginäre Potenzial des Happening ab. Am Donnerstag wird das Kollektiv an städtischen Orten des Übergangs Bauschilder als Hinweis auf die Aktion platzieren: Am Freitag wird Alexandra Pirici dann ab 12 Uhr auf dem Potsdamer Platz 70 Tänzer in den Maßen des Kaprow’schen Eisblocks formieren, die das Dahinschmelzens als körperliche Aktion vorführen. Schließlich besteht auch der Mensch zu 65 Prozent aus Wasser, so Piricis Bezugnahme auf „Fluids“.

Ahmed Ögüt wiederum nimmt sich der innewohnenden ökonomischen und mittlerweile auch ökologischen Fragestellung an. Er lässt die für einen Häuserblock nötige Wassermenge in 25 000 Flaschen abfüllen, die Samstag ab 12 Uhr an den Schauplätzen der Art Week verteilt werden.

Und wo bleibt das Museum bei so viel Verflüssigung? Dies wäre Schritt Nummer drei, falls Kittelmann seinen Wunsch realisieren kann, Kaprows Happening zu kaufen. Die Aufgabe des Museums besteht im Bewahren, eine Möglichkeit wäre eine Reinszenierung und Neuinterpretation alle zehn Jahre. Mit der Berlin Art Week 2015 ist jedenfalls eine erste Aufführung gemacht. Vermutlich würde Kaprow auch das gefallen, weilte er doch 1970 als DAAD-Stipendiat in der Stadt und baute – eine „Kunstmauer“. Die bestand zwar aus Backsteinen, wurde aber mit Brot und Marmelade verkittet. Und wenig später wieder eingerissen.

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