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Kultur: Berlin-Biennale: Der Kino-Effekt

Auf der Berlin-Biennale verbringt man viel Zeit damit, dunkle Vorhänge auseinander zu ziehen. Hat man den schweren, dicht gewebten Stoff aus Nessel oder Leinen beiseite geschoben, sich durch ihn gleichsam hindurchgeschlängelt und den dahinter verborgenen Raum betreten, findet man sich in kleinkinoähnlichen Höhlen wieder.

Auf der Berlin-Biennale verbringt man viel Zeit damit, dunkle Vorhänge auseinander zu ziehen. Hat man den schweren, dicht gewebten Stoff aus Nessel oder Leinen beiseite geschoben, sich durch ihn gleichsam hindurchgeschlängelt und den dahinter verborgenen Raum betreten, findet man sich in kleinkinoähnlichen Höhlen wieder.

Langsam gewöhnt man sich ans Dunkel und erspäht harte Klappstühle oder Schulbänke, auf denen einige Personen sitzen, die sich durch den Neuankömmling keineswegs aus der Ruhe bringen lassen und ihren Blick wie gebannt auf eine Projektion richten. Andere Installationen haben ein im Raum stehendes, sich frei bewegendes Publikum vorgesehen, das den Kopf allerdings leicht in den Nacken legt, um zu den über Kopfhöhe laufenden Projektionen aufschauen zu können. Es sind zumeist Videobeamer, die hier zum Einsatz kommen und für großformatige, gut aufgelöste Bilder sorgen - wobei sich Doppel- und Mehrfachprojektionen einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen. Populär sind letztere auch deshalb, weil sie mit malerischen Konventionen zu konkurrieren vermögen: Jede Dreifachprojektion orientiert sich letztlich am Tryptichon.

Den Wettbewerb mit der Malerei suchen Video-Beam-Installationen aber auch auf anderen Ebenen. So gibt es unterschiedliche Methoden, mit denen das an die Wand projiizierte Bild in eine Art Rahmen eingelassen wird. Entweder es wird auf einen keilrahmenförmigen Träger projiziert - eine Fläche, die bezeichnenderweise an Gemäldeformate erinnert. Oder es ist die schwarz bemalte Wand selbst, die einen Rahmen um das projiizierte Bild herum bildet. Die Assoziation "Monitor" tritt hinter die der Leinwand zurück. Mehrfachprojektionen eignen sich vorzüglich für das derzeit verbreitete Genre der "narrativen Installation". Gegenstand dieser visuellen Erzählungen können andere Kulturen, die eigene Biographie oder Alltagsstudien sein.

Tatsächlich findet sich heute in nahezu jeder größeren Kunstausstellung der notorisch dunkle Raum mit Videobeam-Projektion, der eine Nähe zum Kinoerlebnis suggeriert und sich von diesem zugleich allein durch seinen Kontext - die Ausstellung - unterscheidet. Gerade junge Künstler greifen auf diese Präsentationen mit großer Selbstverständlichkeit zurück - eine Selbstverständlichkeit, die oft ebenso modisch wie reflexhaft anmutet. Nicht die Aufzeichnungsmedien selbst - Video oder Film - sind dabei das Problem. Denn Kunst kann natürlich in Medien stattfinden, die ihrerseits bestimmte Formen erfordern. Fragwürdig erscheint vielmehr, dass hier die neue Konvention von den Künstlern und Ausstellungsmachernmeist völlig kritiklos bedient wird. Nur selten kommt es beispielsweise zu einer Reflexion der durchaus widersprüchlichen Lage, in die die Betrachter geraten.

Einerseits sehen sie sich mit einer vertrauten Situation konfrontiert - sozusagen vor dem Bildschirm. Doch zugleich wird ihnen zugemutet, ohne nähere Information den Kontext eines Videos herstellen und auf Absichten zu schließen, die im Film entweder implizit bleiben oder allzu offensichtlich erscheinen. Und während sie im Kino mit einem bestimmten Film rechnen, dessen Länge abzusehen ist, wissen sie hier nicht, ob sie das als Kunstwerk präsentierte Video am Anfang, in der Mitte oder gegen Ende erwischten. Auch über seine Gesamtdauer ist nur dann etwas in Erfahrung zu bringen, wenn man sich vorher die Mühe machte, die Labels genau zu studieren.

Bodensatz der Konvention

Neue Herausforderungen des Publikums gehören gewiss zur Entwicklung der Kunst. Bedenklich ist nur, wenn eine Präsentationsweise ihre eigenen Voraussetzungen für gegeben hält und formale Konventionen weiterschreibt, ohne sie in Zweifel zu ziehen. Viel interessanter wäre es hingegen, wenn die Rezeption einmal selbst zum Gegenstand des Verfahrens würde - durch ein Thematisieren der Probleme des Betrachters. Auch Abweichungen vom üblichen formalen Schema wären vorstellbar. Denn aus der "Loopstruktur" der Videos allein muss ja nicht folgen, dass sie nonstop laufen. Zudem könnte sich in den ästhetischen Inszenierungen ein Echo jener Zwiespältigkeit finden, von denen ihre Besucher regelmäßig heimgesucht werden.

Während sie sich noch fragen, ob sie sich dem Sog der Projektion überlassen oder ob sie lieber gleich den Raum verlassen, könnten derartige Überlegungen ästhetisch einen Nachhall finden. Um in diesem Sinne über die Konvention hinauszugehen, reicht es jedoch nicht, auf den obligatorischen Vorhang zu verzichten und stattdessen die Fenster zu verdunkeln. Es geht vielmehr um eine Befragung der grundlegenden Vereinbarungen, die den Bodensatz dieser künstlerischen Konvention bilden. Vielleicht bleiben diese ungeschriebenen Gesetze unhinterfragt, weil sie mit einem an "neuen Medien" allemal interessierten, geduldigen Publikum rechnen können.

Zweifellos ist ein Großteil der Besucher der Berlin-Biennale gerne dazu bereit, sich auf die hier beschriebenen Wahrnehmungsmuster einzulassen und seine Zeit theoretisch unbegrenzt zur Verfügung zu stellen. Wenn man sich jetzt noch klar macht, dass Zeit schließlich eines der wertvollsten Güter im Kapitalismus ist, dann muss man zumindest anerkennen, dass das Format Videobeam seinem Publikum dieses Gut erfolgreich aus der Tasche zieht.

Isabelle Graw

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