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Kultur: Berlin, dein Boogie-Woogie

Vierzig Künstler schlagen sich in der Sonderschau durchs Dickicht der Großstadt

Nein, bitte nicht schon wieder, ist die erste Reaktion. Nicht noch eine weitere Berlin-ist-ja-so-toll-und-kreativ-Ausstellung, von denen die Stadt – neben einer erklecklichen Bücherproduktion – nicht genug bekommen kann. Das dazugehörige Vokabular, ob von Kuratoren oder Buchautoren, erscheint nur noch versatzstückartig: „Spontaneität“, „preisgünstige Ateliers“, „raue Ästhetik“, „transformatorische Prozesse“ gehört jedes Mal zum Repertoire. Auch Friederike Nymphius jongliert mit den gängigen Begriffen. Schon ihr Ausstellungstitel „Big City Lab“ weckt Argwohn. Aber Kunstmessen können gar nicht anders. Schließlich müssen sie verkaufen: die Kunst, die Stadt, die Kreativität vor Ort.

Deshalb noch einmal durchgeatmet und auf Start gedrückt, denn „Big City Lab“ bedient zwar auf den ersten Blick die typischen Berlin-Reflexe, aber die vierzig Künstler umfassende Sonderschau des 11. Art Forums hebt sich trotzdem darüber hinaus. Gut, der Palast der Republik kommt zwei, drei Mal ins Bild. Geschenkt, zumal die wunderbaren Aufnahmen von Tacita Dean darunter sind. Die Zeit ist reif für mehr als eine weitere Berlin-Feier. „Big City Lab“ verhandelt umfassender das Thema Metropole als Ort künstlerischer Produktion und die Folgen gegenseitiger Wechselwirkung; sie zielt hinaus über die geläufigen Motive oder Illustrationen der „arm, aber sexy“-These.

Friederike Nymphius lädt auf 1800 Quadratmetern ein zu einem städtischen Rundgang – Graffiti, Nightlife, Elendsviertel, Korruption, alles inklusive. Doch wer nach der Explosion von Eindrücken auf dem Weg durch die Messehallen hier ein letztes Crescendo erwartet hatte, wird angenehm überrascht. Die Vorliebe der Kuratorin für minimalistische Positionen wirkt sich beruhigend aus. Eine ganze Serie Zeichnungen des Neo-GeoMitbegründers Peter Halley, zwei computergenerierte Folienbilder des Post-Minimalisten Gerwald Rockenschaub, Torben Giehlers „Großstadt-Boogie-Woogie“ für das 21. Jahrhundert aus dem Geist eines Piet Mondrian erkunden die abstrahierten Strukturen des urbanen Lebens – Straßenraster, Häuserzeilen, Lichtreflexe. Selbst die in großen Schwarzweiß-Lettern von Peter Snowdon an die Wand gebrachten Ausrufe „What the fuck!?“ und „Hello?!“ erfreuen sich eher ihrer grafischen Wirkung, als dass sie den Besucher aggressiv anschreien würden.

Gewiss, Stadt ist der größte gemeinsame Nenner, der Ort, wo Menschen jeglicher Couleur zusammenleben. Entsprechend weitgefächert ist das Spektrum der künstlerischen Positionen, eine These lässt sich kaum herausdestillieren. Zumal wenn es gilt, ein möglichst breites Feld an Galeristen mit ihren Schützlingen abzudecken, die auf der Messe vertreten sind. So viel lässt sich konstatieren: Durch den Zusammenprall unterschiedlicher Lebensformen, das krasse Nebeneinander von Reich und Arm, die Globalisierung, das Gefühl einer zunehmenden Bedrohung durch den Terrorismus hat sich die Kunst in den letzten Jahren neu politisiert, wenn auch spielerischer, ästhetischer, ja oberflächenverliebter als es die aktivistischen Vorläufer in den sechziger Jahren waren.

Das Duo Elmgreen & Dragset zeigt in perfektem Design ein im ewigen Kreislauf rotierendes Kofferlaufband mit einer einsamen Reisetasche darauf. Von Vangelis Vlahos, dessen kluge Architekturanalysen auch schon auf der Berlin-Biennale zu sehen waren, stammt eine nüchterne Artikelsammlung, die den vergeblichen Versuch einer Übernahme der griechischen Staatsbank in Rumänien rekonstruiert. Daneben stellt er das Pappmodell eines Bankgebäudes, solide, transparent, modern, dazu zwei Säulen als lokale Referenz. Selten sind die Chiffren der Macht so deutlich heruntergebrochen worden wie in dieser ephemeren Installation. Den umgekehrten Weg beschreitet Josephine Meckseper mit ihren Hochglanzaufnahmen einer Iran-Demonstration in Berlin-Mitte. Die Hundertschaft hochgerüsteter Polizisten verliert ihre Bedrohlichkeit, ja hat beinahe Schick im schwarzen Dress, während Zuschauer vom Bus-Wartehäuschen ihre Beine baumeln lassen. Was kann schon passieren, wenn am Ende eine Kellnerin im weißen Schürzchen auf der Straße steht, neben sich die ausgezogenen Schuhe? Alles nur Party? Selbst die harte Sozialreportage von Alicia Framis in spanischen Manufakturen gewinnt eine geradezu unheimliche Attraktivität, hat Groove. Die gefilmten Bilder ruckeln, bleiben plötzlich stehen im Rhythmus der Maschinen, von denen man nicht mehr weiß, ob nun die Menschen sie bedienen oder umgekehrt der Mensch von der Maschine fremdgesteuert wird.

Diese Gesellschaftsanalysen sind letztlich Bestandsaufnahmen; sie bleiben anders als in den Sechzigern ohne politischen Appell. Vielleicht auch das ein Merkmal der jüngsten Metropolenkunst: die Vereinzelung, der Zerfall in private Befindlichkeiten. Die eindrucksvollen Radierungen von Dennis Rudolf, der die altmeisterliche Technik eigens in Russland studierte, zeigen die ganze Verstiegenheit in individuelle Mythologien. Blut und Boden, Sonnenaufgang über der Stadtsilhouette, davor ein Bauer mit Pflug – grotesk geht alles durcheinander, und doch spiegelt dieser krude Mix vor allem die irrlichternde Suche nach Halt. Lebenshilfe ist von den Großstadt-Künstlern nicht zu erwarten, höchstens ein Lachen. Statt zu verzweifeln sollte man es mit Antal Lakner halten, der dem modernen U-Bahn-Benutzer ein Surfbrett empfiehlt, damit er die Fahrtzeit nicht passiv stehend, sondern in pseudo-sportlicher Bewegung überbrückt.

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