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emigholz

© Mike Wolff

Berlin: Kaninchen im Quadrat

Architektur als Film: Heinz Emigholz zerlegt die Welt in Standbilder. Nun widmet ihm der Hamburger Bahnhof eine Retrospektive.

„Mit diesem Raum musste ich kämpfen“, sagt der Künstler. Mittagspause im Hamburger Bahnhof, Heinz Emigholz baut seine Retrospektive auf. Schwierig sei er, dieser „Werkraum“ im ersten Stock: eine große Halle, aber mit niedriger Decke. „Wir haben über einen Monat lang nach den richtigen Raumlösungen gesucht.“

Heinz Emigholz, Filmemacher, Künstler, Professor, ist ein Experte für Räume, seine Architekturfilme sind regelmäßig auf der Berlinale zu sehen. Emigholz. Der Name des 59-Jährigen, der nicht gerne als Dokumentarist gelten will und den auch das Etikett „Experimentalfilmer“ stört, obwohl er seit 1993 an der UdK Experimentelle Filmgestaltung lehrt, ist längst ein Synonym für die totale Vermischung der Genres, für die offene Form. Einer, der nichts gern in Schubladen steckt und sie lieber weit öffnet: Bei Emigholz existieren kunstphilosophische Texte, Erzählungen, Film- und Zeichenkunst nebeneinander.

Und die berüchtigten Kladden, die seinen Lebensweg säumen. Seite für Seite zeigt er seine eng beschriebenen Notizbücher in Ausstellungsvitrinen, webt ihre Einbände auf Bildteppiche aus iranischen Fabriken oder lässt die Notate über eine Filmleinwand flimmern. Umgeblättert wird im Allegro-Tempo: Mitlesen – unmöglich. „Datenbank als Pausenfilm“ nennt Heinz Emigholz das Kurzfilmtrio „The Basis of Make-Up“, das sich in gerade mal 94 Minuten durch 30 Jahre Tagebuchnotizen pflügt. Heinz Emigholz nutzt die Retrospektive, um sich gewissermaßen in den Kopf gucken zu lassen. Die Basis des Make-Up: Das ist der menschliche Schädel, wie Emigholz in einem Ratgeber für Maskenbildner gelesen hatte. Außen und Innen, die Fassade und der Raum dahinter, sie bedingen einander.

Emigholz muss noch den Beamer justieren. Das „Kino“ ist dann doch das Herzstück der Ausstellung, dank der enormen Raumlänge ist eine Rückwand zur Abdunklung nicht nötig – „und auch kein blöder Vorhang“, brummt Emigholz, der Videokabinen „ganz schrecklich“ findet. Filmpräsentation im Museum sei ein echtes Problem. Dass an den Wänden, dicht an dicht, Zeichnungen hängen, erleichtert den Zugang zum Lebenswerk des sperrigen Künstlers auch nicht unbedingt. Sie werden hier erstmals vollständig präsentiert, 550 an der Zahl. Seit 1974 arbeitet Emigholz an diesen Blättern, die wie Kreuzungen aus Schwarzweißcomics und Diagrammen aussehen und in denen sich Autobiografisches mit Historie und Fiktion vermengt.

Der Künstler deutet auf eins der gerahmten Quadrate. „Da sehen Sie das Kaninchen.“ Ein Kaninchen? Emigholz erklärt, wie ihn einst Willy Kühnes Experiment aus dem Jahr 1878 ebenso auf- wie anregte: Der Wissenschaftler köpfte ein Kaninchen, während er das Tier aus dem Fenster schauen ließ. Kühne wies damit nach, dass sich das Gesehene in die Netzhaut einbrennt. Seit 1978 fungiert das kreisrunde Netzhautbild jenes armen Kaninchens als Logo von Emigholz’ Firma „Pym Films“. Seine künstlerische Arbeit kehrt indes Kühnes Versuchsanordung um, indem sie das Sehorgan ans Hirn rückkoppelt. Der Blick des Autors wird zur Produktivkraft. Nicht um Eindruck geht es, sondern um Ausdruck.

Blicke konstruieren den Raum. Sie können ganze Bauwerke im Kopf des Betrachters entstehen lassen. Wie das funktioniert, lässt sich im Rahmenprogramm der Ausstellung studieren: Im Kino Arsenal werden Emigholz-Filme wie „Maillarts Brücken“ (1999), „Goff in der Wüste“ (2003) oder „Schindlers Häuser“ (2007) gezeigt, und im kommenden Februar wird das Berlinale-Forum die Neuproduktionen „Loos ornamental“ und „Kieslers Projektionen“ präsentieren.

Obwohl Emigholz meist nur die Bauten filmt, handelt es sich um Architektenporträts. Die simple wie geniale Ästhetik verdankt er einer „Schnittblockade“ Anfang der Achtziger: „Ich saß ratlos am Schneidetisch und fing an, Material nur noch chronologisch aneinanderzuhängen.“ Die Not wurde zur Tugend, wie im Fall der filmischen Reise zu 62 Gebäuden, die der Querkopf der amerikanischen Architektenszene, Bruce Goff, zwischen 1922 und 1978 entwarf. Emigholz verkneift sich Schwenks und Kamerafahrten, er filmt vom Stativ aus und bildet den Ort in einer Folge von starren Einstellungen ab. „Filmfotograf“ hat er sich einmal genannt.

Emigholz kadriert mit großer Liebe zum Detail. Seine Sympathie gilt jener Architektur, die von den Protagonisten des „International Style“ einst verspottet wurde. Und seine Abneigung? Eins seiner Werke bezeichnet er als „Hassfilm“: 2002 begab er sich mit vier Kollegen für einen Drehtag in „D’Annunzios Höhle“ – die Villa des Dichters und Faschisten am Gardasee. Die Handkameras zittern geradezu vor Unbehagen angesichts der Maß- und Formlosigkeit der Interieurs; am Schneidetisch hat Emigholz dann ein regelrechtes Ekelpaket geschnürt: „Ich fühlte mich wie im Inneren einer einbalsamierten Leiche“, schrieb er ins Tagebuch.

Verständlich, dass er sich nun wieder den Lebendigen zuwenden möchte.Das Projekt, Hans Henny Jahns Jahrhundertroman „Fluss ohne Ufer" zu verfilmen, sei vor Jahren zwar „hoffnungslos baden gegangen“, weil solche Spielfilme schwer zu finanzieren seien. Ebenso liegt ein Drehbuchentwurf nach Edgar Allan Poes düsterer Reiseerzählung „Arthur Gordon Pym“ in irgendeiner Kommode. „Das geht auch noch los“, bemerkt Heinz Emigholz – und wirkt fest entschlossen, auch diese Schublade bald zu öffnen.

„Die Basis des Make-Up“ im Werkraum des Hamburger Bahnhofs (Invalidenstraße 50/51). Bis 24. Februar, Di-Fr 10-18, Sa 11-20, So 11-18 Uhr, Katalog 10 Euro, Künstlerbuch 20 Euro. Vom 11. Dezember bis 25. Januar zeigt das Kino Arsenal in sieben Programmen Emigholz-Filme (www.fdk-berlin.de).

Jens Hinrichsen

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