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Egesborg

© Uwe Steinert

Berlin Kultur: Der Mann, der Moll Morgengrau erfand

Plakatkünstler Jan Egesborg provozierte Ahmadinedschad und Putin. Jetzt mischt er Berlin auf.

Schlimm, schlimm. Alles wird ganz schlimm. Das Geld wird schwinden. Der Luxus. Die Lebensfreude. Die große Depression, sie steht vor der Tür. Schlimm. Und die Kunst? Gerade die wird es richtig schwer haben. Kein Trost in Sicht. Obwohl. Es gibt immer noch Leute, denen es schlechter geht. Moll Morgengrau zum Beispiel.

Morgengrau ist der Prototyp des depressiven Künstlers. Drei gescheiterte Ehen und drei Tonnen schwere Mundwinkel. Selbst karibische Sonne und die Frauen Kubas können ihn nicht aufheitern. Also kehrt er zurück nach Berlin, in das Mekka der Schwermut, trauriger denn je. In den kommenden Wochen wird er den Berlinern von den Häuserwänden schwere Blicke durch seine Lehrerbrille schicken. „Ich freue mich, dass es endlich allen genauso mies geht wie mir“, steht mancherorts schon jetzt neben seinem Gesicht auf Plakaten. Moll Morgengrau ist eine Figur. Jan Egesborg hat sie erfunden. „Wir bringen etwas Licht in die Dunkelheit“, sagt er.

Der Däne ist Gründer der Künstlergruppe Surrend, die mit ihren politischen Aktionen mehrfach internationale Aufmerksamkeit erregt hat. Zeitungsanzeigen gegen die Machthaber in Iran, Birma und Simbabwe, Festnahmen wegen Aufrufen zu Straftaten, Einschüchterung durch Geheimdienste. Letzten Mai wurde ihre Ausstellung zu Verschwörungstheorien in der Moabiter Galerie Nord wegen Gewaltdrohungen von jungen Muslimen zeitweise geschlossen. Jetzt steht Egesborg im neuen Hauptquartier der Gruppe, einem schwach beheizten Dachgeschoss-Studio in Kreuzberg. Ein freundlicher kleiner Mann in Fleece-Pulli und Wollmütze. Wenn Egesborg lacht, zucken seine Schultern und die blauen Augen leuchten. So sieht also der Mann aus, der sich den iranischen Präsidenten, den russischen Geheimdienst und die NPD zum Feind gemacht hat?

„Wir wussten nicht, wie groß das alles werden würde“, sagt der 46-Jährige heute. Im Mai 2007 wurde er von der Wiener Polizei festgenommen, als er vor dem Besuch von Wladimir Putin Plakate kleben wollte, die den russischen Präsidenten im Zentrum einer Zielscheibe zeigten. Darüber stand: „Erschießt Putin...“, und dahinter, klein gedruckt: „...Journalisten?“ Es war wie das Wenden des Mündungsrohrs: Die Kräfteverhältnisse wurden verkehrt, auf einmal war der Mächtige im Fadenkreuz. Aber, hey, es ist nur ein Poster. Die Staatsgewalt sah das anders. Die Plakate wurden konfisziert, Egesborg angeklagt. Er gewann den Prozess. Surrend (zu deutsch: „Ergib dich.“) pflegten auch eine Website, die der des Kremls glich, aber fiktive innere Monologe Putins über Sex, Religion und Krieg enthielt. Anderthalb Jahre dauerte der Prozess vor einem dänischen Gericht, die Russen übten Druck aus. Auch diesmal gewann Egesborg.

Die Nutzung globaler Medienkanäle für politische Unruhestiftung war etwas Neues. Surrend hatten eine Waffe entdeckt, deren Wirkung stärker war als erwartet. Ihr Rückstoß auch. „Wann immer wir etwas Neues machten, lösten wir eine diplomatische Krise aus.“ Für Verwirrung sorgte auch, dass die Aktionen nicht verrieten, wofür Surrend stehen. Mit ihren Plakaten nimmt die Gruppe, die zur Zeit aus vier Künstlern besteht, die Linkspartei ebenso aufs Korn wie die NPD. „Wir sind keine Aktivisten“, erklärt Egesborg, „wir sind eher eine Gruppe anarchistischer Bohémiens. Ich weiß nicht mal, was die anderen wählen.“ Allerdings hat Egesborg auch schon eine Kampagne für die dänischen Sozialisten gestaltet. Für eine rechte Partei würde er das nicht tun.

Vor kurzem sind Egesborg und seine Partnerin Pia Bertelsen Eltern geworden. Vielleicht ist auch das ein Grund, dass Surrend es nicht mehr mit den Supermächten dieser Erde aufnehmen, sondern ruhiger werden, erzählerischer. Moll Morgengrau sollte eigentlich im Herbst 2009 in einer Ausstellung auftauchen. Dann kam die Finanzkrise, die Figur war hochaktuell. Im Eiltempo wurden Dutzende Plakatmotive entworfen. Jetzt streift Egesborg durch die Straßen, mit Kleistereimer und Wollmütze. Für Februar suchen Surrend Galerien, die Originalgemälde mit Morgengrau-Motiven ausstellen.

Der Künstler, der auch hin und wieder sein Geld mit kommerziellen Kampagnen verdient, versteht seine Arbeit als Gesamtkunstwerk in der Tradition der Fluxus-Bewegung um Joseph Beuys. „Wir wollen öffentliche Performances veranstalten.“ Ist Morgengrau einmal als Figur etabliert, könnte er in immer neuen Formen auftauchen und seinen Senf abgeben – „etwa zur Frage, warum Berlin unbedingt eine Kunsthalle bauen will.“

Ganz nebenbei macht Moll Morgengrau sich auch über den Depressionskult in der Kunstwelt lustig. „Mich erinnert er an den dänischen Regisseur Jörgen Leth“, sagt Egesborg. Morgengrau kommt aus Kassel. Er sieht aus wie das Klischee des verhärmten Lehrers. Er ist eine Lachnummer. Aber die Lachnummer in jedem von uns. Wenn man in Morgengraus schwere Züge blickt, lockern sich zwangsläufig die eigenen. Morgengrau bekam angeblich schon Fanpost, als er nur auf der Surrend-Website zu sehen war. Man muss diesen niedlichen Muffel mögen. Gerade in dieser Stadt.

„Wir haben die Berliner gerne“, sagt Egesborg. „Sie sind nicht wirklich melancholisch, aber sie haben so eine Schwere.“ Die Krise als Lebensgefühl. „Woanders sorgt man sich um seine Wohnungseinrichtung, hier geht man mit Freunden was trinken und macht irgendwelche Projekte. Das ist vielleicht die beste Art, um einer Krise zu begegnen.“ Gute Nachrichten also: Wenn die große Depression kommt, ist Berlin bestens gerüstet.

Surrend wollten schon lange an der Spree ihr Zentrum einrichten, auch wenn Egesborg und Bertelsen weiter in Kopenhagen wohnen. „Ich war nie in einer Stadt, die so lebendig ist.“ Wowereits Diktum „Arm, aber sexy“ findet Egesborg dennoch blöd. „Wir finden Berlin nicht sexy. Es ist eine poetische Stadt.“

Sieht man vom Wirbel um die Ausstellung in der Galerie Nord ab, wurden Surrend, die ihren Künstlerstab ausbauen wollen, herzlich empfangen. „Als unsere NPD-Plakate hingen, bot uns eine Anwaltskanzlei prompt ihre Unterstützung an. Gratis.“

Mit ihrer neuen Aktion gewinnen Surrend auch neue Freiheiten. „Bei unseren provokanten Aktionen waren immer wir es, die die Dinge sagten. Jetzt haben wir eine Figur, hinter der wir verschwinden.“ Und die Waffe, die Surrend geschaffen haben, können nun auch andere verwenden. Ihre Anzeigenaktion in Birma, bei der sie den Junta-Chef einen Mörder nannten, fand bereits Nachahmer. „Es gibt einen großen Bedarf an politischer Kunst“, sagt Egesborg. „Denn es ist eine verrückte Welt.“ Mit dieser Sicht ist er nicht alleine. Immer fand er Mäzene, die seine Aktionen unterstützten.

Ob das so weitergeht? Moll Morgengrau ist auch eine persönliche Antwort auf die schweren Zeiten, die angeblich kommen. „Wir wollen nicht depressiv werden“, sagt Egesborg gelassen. „Das Leben ist zu kurz dafür.“

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