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Kultur: Berlin vor der Wahl: Wahlweise

Wir schauen in die Kristallkugel: Am Sonntag, 21. Oktober 2001, erklärt sich die Berliner SPD schon kurz nach 18 Uhr zum Sieger der Abgeordnetenhauswahl.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wir schauen in die Kristallkugel: Am Sonntag, 21. Oktober 2001, erklärt sich die Berliner SPD schon kurz nach 18 Uhr zum Sieger der Abgeordnetenhauswahl. Franz Müntefering, Generalsekretär der Bundespartei, gratuliert dem SPD-Spitzenkandidaten und Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der alle Möglichkeiten zur Bildung einer handlungsfähigen Landesregierung prüfen werde. Auch Gregor Gysi und Günter Rexrodt melden Ansprüche auf den Wahlsieg an, weil die PDS ihre Stimmanteile leicht verbessern konnte und die FDP nach sechs Jahren wieder ins Parlament einzieht.

Zum Thema Online Spezial: Berlin-Wahl 2001 WahlStreet.de: Die Wahlbörse bei Tagesspiegel Online Umfragen/Prognosen: Wenn in Berlin am Sonntag gewählt würde... Frage des Tages: Die fünf Spitzenkandidaten zu ihren politischen Absichten Foto-Tour: Die Berliner Spitzenkandidaten Video-Streams: Diskussion mit den Spitzenkandidaten Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz ist ebenfalls zufrieden. Ihre Partei geht ungerupft aus der Abgeordnetenhauswahl hervor. Währenddessen gesteht CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel vor den Kameras ein, dass die Union das Wahlziel, stärkste Partei zu bleiben, verfehlt hat. Auf die Frage, ob er aus der Niederlage Konsequenzen ziehe, sagt Steffel nur: "Das bespreche ich mit meinen Parteifreunden in den Führungsgremien der Union." So oder ähnlich wird der Wahlsonntag ausgehen; alles andere wäre eine faustdicke Überraschung.

Meinungsumfragen sind zwar kein Wahlergebnis. Aber sämtliche Umfragen liegen seit dem Frühsommer, als der Berliner Parteispenden und -Bankenskandal bundesweit Schlagzeilen machte, im gleichen Trend. Die Christdemokraten rutschten von ihrer Spitzenposition als "40-Prozent-plus-X-Partei" (1999: 40,8) unaufhaltsam in den Keller und liegen jetzt bei 25 Prozent der Wählerstimmen. Die Sozialdemokraten stiegen aus den Niederungen der 22-Prozent-Partei (1999: 22,4) stetig herauf und hoffen jetzt auf über 35 Prozent. Die Berliner PDS schwankt seit Monaten zwischen 15 und 20 Prozent. Die US-Militäraktion in Afghanistan hat der - strikt pazifistisch wahlkämpfenden - Partei gerade wieder ein Zwischenhoch beschert.

Mit Ach und Weh

"Hoffentlich gibt es vor der Wahl keine neuen Terroranschläge gegen die USA", wird in der PDS-Führung geflüstert. Das würde der Partei, die im Ostteil Berlins auf 40 Prozent der Wählerstimmen kommen könnte, doch noch einen Dämpfer geben. Grüne und FDP haben sich nach den Sommerferien bei neun bis zehn Prozent Stimmanteile eingependelt. Beide Parteien wollen mitregieren. Am liebsten allein, notfalls zusammen - in einem Bündnis mit der erstarkten SPD. Das könnte funktionieren, wenn auch mit Ach und Weh. Es gibt mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Ampel-Koalitionären als viele denken: In der Finanz-, Kultur- und Innenpolitik zum Beispiel. Schwierig dürften Koalitionsverhandlungen im Bereich der Wirtschafts, Schul- und Verkehrspolitik werden.

Aber die SPD hält sich für die Zeit nach den Wahlen auch das andere Türchen offen. Die brüske Abkehr der PDS von der Allparteien-Solidarität für Amerika hat die SED-Nachfolgepartei zwar vorläufig ins politische Abseits gestellt, aber in der SPD-Spitze ist man offenbar der Meinung, dass Pazifismus allein die Regierungsfähigkeit der PDS nicht in Abrede stellt. Ein rot-rotes Bündnis müsste allerdings, bevor es zu Stande kommt, noch ganz andere Nüsse knacken. Zum Bau des Großflughafens in Schönefeld gibt es konträre Positionen, und ob die PDS-Basis eine kompromisslose Sparpolitik mittragen wird, steht auch in den Sternen.

Alle sind froh, dass es soweit ist

Drehen wir noch einmal die Kristallkugel: Der Wahlsieger und SPD-Spitzenkandidat Klaus Wowereit wird dem Landesvorstand seiner Partei vielleicht schon am Tag nach der Wahl empfehlen, sowohl mit Grünen und FDP wie auch der PDS Koalitionsverhandlungen zu führen. Was daraus wird? Da versagen die Vorhersage-Künste.

Immerhin will die Berliner CDU in den letzten sechs Tagen vor den Neuwahlen noch das Ruder herumreißen, indem sie möglichst alle noch unentschiedenen Wähler für sich gewinnt. Wie die Christdemokraten das anstellen wollen, ist noch unklar. Die neuen, letzten Großplakate der Union zeigen einen strahlenden Steffel mit strahlender Ehefrau Katja: "Zusammenstehen für eine sichere Zukunft." Und sie zeigen ein hell aufblitzendes Wahlkreuz: "Sicher ist sicher, CDU!" Die SPD wirbt mit Klaus Wowereit - mit wem sonst? Mit "ihrem" Regierenden Bürgermeister, der locker und smart von den Plakaten lächelt. Die Grünen haben sich jetzt noch ausgedacht: "Gerade jetzt! Bündnis 90/Die Grünen. Damit Rot-Grün bleibt." Die FDP wirbt mit Rexrodt, Rexrodt und Rexrodt, und die PDS weicht ausnahmsweise von Gysi auf eine weiße Taube auf blauem Grund aus. Das klassische Symbol der alten Friedensbewegung: "Vernunft. Das Einzige, was zählt"!

Alle Parteien sind froh, dass es bald soweit ist. Die Terrorangriffe auf die USA am 11. September und der Gegenschlag Amerikas haben das ihre dazu beigetragen, einen echten Wahlkampf, der diesen Namen verdiente, zu verhindern. Das Thema "innere und äußere Sicherheit" spielte seitdem naturgemäß eine große Rolle, aber nicht aus Wahlkampfgründen. Die CDU versuchte, mit diesem Thema zu punkten. Aber die Stimmungsbarometer der Meinungsforscher zeigen, dass die Ängste der Menschen nicht groß genug sind, um damit einen Wahlsieg zu erringen. Außerdem sind Krisenzeiten, wie der CDU-Spitzenkandidat Steffel selbst erkannte, immer "Stunden der Regierung". Offenbar auch des rot-grünen Senats vor allem mit seinem besonnen, aber unzweideutig agierenden Innensenator Ehrhart Körting (SPD).

Spätestens jetzt, kurz vor den Abschlusskundgebungen, stellte sich heraus, dass dieser Wahlkampf nur ein Thema hat: Die Bestätigung des Machtwechsels in Berlin und der einsame Widerstand der CDU dagegen. Das letzte Wort haben nun die Wähler. Am Sonntag. Danach zählen nicht mehr Sprüche, Versprechungen, Prognosen. Dann muss wieder Politik gemacht werden.

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