zum Hauptinhalt

Berlinale: Politisch? Korrekt!

Gary Cooper protestierte gegen Kommunistenhatz, mal galt ein Film als pornografisch, mal als antisemitisch... Und eine Berlinale wurde abgebrochen, weil die Jury stritt.

Von den großen Filmfestivals ist die Berlinale immer das politischste gewesen. Warum? Nicht nur weil West-Berlin Frontstadt im Kalten Krieg war, Schaufenster des kapitalistischen Konsums und der bürgerlichen Freiheiten. West-Berlin war ja auch der Fluchtort der westdeutschen Jugend, eine Stadt ohne Bundeswehr, mit billigen Wohnungen und einem in Deutschland konkurrenzlosen Nachtleben. Das offizielle West-Berlin war wohl die antikommunistischste Stadt auf deutschem Boden, das inoffizielle, junge West-Berlin aber entwickelte sich zur politisch linkesten, wildesten und anarchistischsten Stadt. Dieses Spannungsverhältnis machte West-Berlin künstlerisch fruchtbar, es beeinflusste auch die Berlinale.

Man konnte in West-Berlin unmöglich unpolitisch sein. Auch der Schauspieler Gary Cooper konnte das nicht. 1953 protestierte er bei der Berlinale gegen die antikommunistische Hexenjagd des Senators McCarthy und fuhr demonstrativ in den Ostteil, wo er zufällig zum Augenzeugen des Aufstandes vom 17. Juni wurde.

Die Berlinale entstand als ein politisches Werkzeug der USA und eine Werbefläche für Hollywood, aber sie emanzipierte sich. In den 60er Jahren verschob sich der Schwerpunkt auf das neue europäische und asiatische Kino, auf Regisseure wie Chabrol, Godard, Antonioni oder Kurosawa. Der sogenannte „Ostblock“ nahm nicht teil, weil Ost und West sich über den Status Berlins nicht einig waren. In den 60er Jahren wuchs aber auch das Gefühl, mit dem Festival in eine Sackgasse geraten zu sein – sowohl der gerade entstehende neue deutsche Film als auch Hollywood fühlten sich schlecht behandelt. Auf der einen Seite forderten linke Kritiker, die Eintrittspreise wie auch die Auszeichnungen einzelner Filme abzuschaffen, beides sei undemokratisch und elitär, sind etwa nicht alle Filme gleich viel wert und gleich gut? Auf der anderen Seite boykottierte der mächtige Verleih United Artists für ein ganzes Jahrzehnt Berlin, nachdem 1969 der Publikums- und Kritikerliebling „Midnight Cowboy“ – mit Dustin Hoffman, Regie: John Schlesinger – bei der Preisvergabe leer ausging.

Der Eklat des Jahres 1970 entzündete sich an „o. k.“ von Michael Verhoeven. Der Film schildert den authentischen Fall eines vietnamesischen Mädchens, das von vier US-Soldaten vergewaltigt und anschließend erschossen wird. Ein fünfter Soldat wird Zeuge und zeigt seine Kameraden an, die Anzeige wird unterdrückt. Künstlerisch war „o. k.“ umstritten, aber bei dem folgenden Streit ging es nicht um ästhetische Fragen. Es ging darum, ob in West-Berlin, dieser von den Amerikanern verteidigten und von ihnen abhängigen Insel der Demokratie, ein radikal amerikakritisches Werk offiziell aufgeführt werden durfte. Ironischerweise drehte sich der „o. k.“-Streit also um genau die Frage, die „o. k.“ behandelt: Im Film wird, im Namen der USA, ein Verbrechen gedeckt. Im Festival sollte nun, im Namen der USA, ausgerechnet dieser Film unterdrückt werden.

Das deutsche Jurymitglied Manfred Durniok entschuldigte sich bei dem Juryvorsitzenden, dem Amerikaner George Stevens, für den deutschen Wettbewerbsbeitrag. Eine Mehrheit der Jury verlangte, „o. k.“ aus dem Wettbewerb auszuschließen, was nach den Spielregeln der Berlinale nicht möglich war. Wenig später trat die völlig zerstrittene Jury zurück, die Berlinale wurde abgebrochen. Etwa gleichzeitig wurde bekannt, dass der vorgesehene spanische Wettbewerbsbeitrag für Berlin, ein Werk des renommierten Regisseurs Carlos Saura, auf Betreiben der Franco-Regierung aus dem Wettbewerb wieder entfernt worden war und durch einen Film ersetzt wurde, der dem Regime des Diktators angenehmer war. Das Schaufenster des Westens sah plötzlich sehr schmutzig aus.

Aus diesen politischen Wirren ist die heutige Struktur des Festivals hervorgegangen. Der Wettbewerb, dessen Abschaffung nach dem Debakel kurz im Gespräch war, blieb bestehen, daneben aber steht seitdem das „Forum“, ein Ort für alles, was politisch oder künstlerisch neben dem Mainstream liegt. Ein paar Jahre später kam das „Panorama“ dazu, das eigentlich eine Art Überlaufventil für den Wettbewerb sein sollte, sich aber schnell ein eigenes Profil erarbeitete, unter anderem, weil es regelmäßig Filme von schwulen Regisseuren oder lesbischen Regisseurinnen zeigt, die ihre sexuelle Orientierung zum Thema machen. Das Festival hat jetzt ein Deckelchen für jedes Töpfchen, aber auch ein immer wiederkehrendes Diskussionsthema, denn von nun an werden alle Jahre Filme im „Forum“ oder im „Panorama“ laufen, die man sich ganz gut auch im Wettbewerb vorstellen könnte.

Dank der Ostverträge konnten ab den 70er Jahren in West-Berlin auch Filme aus der Sowjetunion und der DDR gezeigt werden. Die Berlinale wurde zur Drehscheibe zwischen Ost und West. Als der Osten sich unter Gorbatschow politisch öffnete, zeigte man vor allem in Berlin Filme, die lange verboten waren, darunter Meisterwerke wie Alexandr Askoldovs „Die Kommissarin“.

Was regelmäßig wiederkehrte, waren die politischen Scharmützel. 1976 wurde „Im Reich der Sinne“, heute ein Klassiker, von der Polizei als „pornografisch“ beschlagnahmt, 1977 gab es heftige Proteste gegen das angeblich antisemitische Jurymitglied Rainer Werner Fassbinder. 1979 wiederholte sich 1970 mit umgekehrten Vorzeichen: In „The Deer Hunter“ von Michael Cimino, mit Robert de Niro, foltern Vietnamesen amerikanische Kriegsgefangene, die Warschauer-Pakt-Staaten zogen deshalb ihre Filme zurück. Auch die Filmemacher aus dem Osten mussten auf Geheiß ihrer Regierungen West-Berlin verlassen. 1986 distanzierte sich die Juryvorsitzende Gina Lollobrigida öffentlich vom Siegerfilm, Reinhard Hauffs „Stammheim“, dem sie sinngemäß Verherrlichung des Terrorismus vorwarf.

Das Selbstverständnis des Festivals spiegelt sich manchmal auch in den Entscheidungen der Jury. Der politisch gut gemeinte, aber künstlerisch nicht sonderlich aufregende Film findet seit jeher in Berlin günstigere Startbedingungen vor als anderswo. 1978 zum Beispiel wurde der Goldene Bär, zur allgemeinen Überraschung, pauschal an die drei spanischen Filme des Wettbewerbs verliehen, von denen keiner die Kritiker wirklich begeistert hatte, sie waren auch alle bald vergessen. Es handelte sich, wie Wolfgang Jacobsen in seiner Geschichte des Festivals schreibt, um eine „Verbeugung vor der jungen spanischen Demokratie“. Falls in Berlin irgendwann ein Film aus dem tapferen Tibet in den Wettbewerb kommt, ist er wohl automatisch Favorit.

Zu den Begleiterscheinungen einer Berlinale gehörten auch, jahrzehntelang, die politischen Demonstrationen am Eröffnungsabend, bei denen es manchmal um recht bizarre Anliegen ging. Das ist vorbei. Die Berlinale ist politisch unauffällig, brav und skandalfrei geworden, was eher an den Zeiten liegt als am Festivaldirektor. Unser Dalai Lama Dieter Kosslick würde auch in einem politischen Skandal ganz bestimmt eine gute Figur machen! Berlin ist eben inzwischen eine so normale Stadt wie noch nie in den letzten 100 Jahren, nur das Nachtleben ist immer noch konkurrenzlos.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false