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Berlinale Special: Die Liebesmutige

Doris Dörrie huldigt in „Die Friseuse“ einer resoluten Salonbesitzerin aus Marzahn

Was für ein wunderbarer, urkomischer, todtrauriger Film hätte das werden können. So streift er hart an das, was ihn verrät: an den Klamauk. Fast in jeder Szene eine Umdrehung zu viel. Warum denkt man immer wieder, dies wäre ein Film für Andreas Dresen gewesen? Dresen hat ein gutes Gespür für die leisen Töne im Absurden. Doris Dörrie dagegen mag es vor allem zeigefinger-grell.

Selbst die arbeitslose Kathi aus Marzahn weiß inzwischen, dass ihr Beruf neudeutsch „Friseurin“ heißt. Aber sie sei eine Friseuse, war nie etwas anderes, sagt sie mit jener eigentümlichen Selbstgewissheit, die Menschen wie sie manchmal haben. Ihre Welt und die der zeitgeistkompatiblen Soft-Ichs – und ist nicht jeder sein eigener Diskriminierungstheoretiker? – berühren sich nicht.

Kathi ist alles, was man besser nicht sein sollte: aus dem Osten, noch schlimmer, aus Marzahn, arbeitslos, geschieden, alleinerziehend. Und sie isst für drei. Wahrscheinlich ist selbst auf der Skala einer gewöhnlichen Personenwaage das Lebendgewicht dieser Frau nicht mehr vorgesehen. Jede andere ginge unter der Last dieses Daseins in die Knie – auch dies eine Bewegung, die Kathi nicht mehr zu Gebote steht. Selbst der Versuch, sich morgens im Bett aufzurichten, wäre aussichtslos, hätte sie neben sich nicht die Steh-auf-Leine gespannt. Es gibt für alles eine Lösung, denkt Kathi, schlüpft in ihr hautenges grellgrünes Kleid, steigt in himmelblaue Ballerinaschuhe, legt die Plaste-Obst-Kette um den Hals, klickt sich zwei Erdbeeren ans Ohr und geht los – aufs Arbeitsamt, ein neues Leben zu beginnen.

Welche Schauspielerin könnte in einer solchen Rolle bestehen, ohne zur Type zu werden? Gabriela Maria Schmeide! Sie trifft fast jeden Ton, nie überanstrengt, nie überdreht. Und Laila Stielers Drehbuch ist ein Hohelied auf die Kraft, die Unmittelbarkeit und die Wärme der Bestübersehenen dieser Gesellschaft, kurz „Prolls“ genannt. Aber – seltsame Dialektik des Lebens und des Kinos – diese Kathi ist gar nicht prollig, kennt man sie näher. Doris Dörries Regie dagegen schon, wenn man Derbheit und Hang zur Völlerei zum Kriterium machen wollte.

Für Gabriela Maria Schmeide – unvergessen als Dresens „Polizistin“ – und Laila Stielers Geschichte lohnt es dennoch, diesen Film zu sehen. Und für Kathis wechselnde Garderobe. Für ihre Vorstellungen auf dem Arbeitsamt sowie bei verschiedenen Banken, die schon beim Anblick der Klientin ihren Startkapital-Geldbeutel fest verschließen. Dabei hatte sie beim ersten Mal sogar Glück auf dem Arbeitsamt.

Doch weit kommt sie beim Friseur Krieger im Marzahner East-Gate nicht. Diese giftgrüne, bearmte, bebeinte Birne in unserem Salon? Niemals! Von nun an wird Kathi aus Marzahn alles daran setzen, gleich nebenan ihren eigenen Salon zu eröffnen und nicht einmal davor zurückschrecken, Gruppen von Vietnamesen über die polnische Grenze zu schleusen.

Bei allem Klamauk gerät die wunderbar leise Mutter-Tochter-Geschichte in Gefahr, übersehen, überhört zu werden. Am Anfang versteht man die Ablehnung der erwachsenen Kindes (betont schlank: Natascha Lawiszus) nicht ganz. Natürlich, Eltern können peinlich sein. Und diese Mutter erst! Aber da muss mehr sein. Julia gibt ihr die Schuld daran, dass sie nicht mehr im Haus in Gräfenhainichen leben, zusammen mit ihrem Vater. Und nun diese Plattenbau-Wohnbox in Marzahn! Mit welcher Gemütskraft Kathi die Kühle ihrer Tochter erträgt! Man nennt Frauen wie sie gern „resolut“. Ein hilfloses Wort für den ungewöhnlichen Lebens- und Liebesmut mancher Menschen auf der Schattenseite des Daseins.

Heute 18.30 Uhr (Adria)

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