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Spiel mit der Geschichte. Die „Antivilla“ in Potsdam-Krampnitz steht zu ihrer Vergangenheit als Trikotfabrik.

© Constanze Haas

Berliner Architekt Arno Brandlhuber: Grau ist alle Energie in der "Antivilla" in Potsdam

Eine alte Näherei aus der DDR wird umgebaut. Was fasziniert Medien und Fachwelt an Brandlhubers "Antivilla"?

Warum eigentlich? Wie schon im Galerie- und Ateliergebäude in der Brunnenstraße geben sich die Journalisten und Fernsehteams nun in Arno Brandlhubers „Antivilla“ in Potsdam-Krampnitz die Klinke in die Hand (zu finden auf Google Earth unter 52,4582 13,0563). Das ruppige graue Haus wird bestimmt keinen Schönheitswettbewerb gewinnen und ist von den Nachbarn aus ihren ländlichen Einfamilienhäusern anfangs argwöhnisch beäugt worden. Es ist nicht da, um bewundert, sondern um benutzt zu werden, könnte man mit dem russischen Bildhauer Naum Gabo sagen.

Vor der Wende war es ein kleiner Zweigbetrieb des VEB Obertrikotagen Ernst Lück Wittstock (der durch den Filmzyklus von Volker Koepp Bekanntheit erlangte). Die Näherei rechts wird gerade zum Wohnhaus umgebaut, das Verwaltungs- und Lagergebäude links hat sich der Berliner Architekt Brandlhuber vorgenommen – auf seine eigene Art. Nach reichlich verworrener Treuhand-Veräußerungsgeschichte erwarb er das Gebäude auf Abbruch. Drei Einfamilienhäuser mit je 100 Quadratmeter Wohnfläche waren auf dem Grundstück am Lehnitzsee genehmigungsfähig. Er entschied sich jedoch, das zweigeschossige Gebäude mit 500 Quadratmetern zu erhalten und umzubauen.

Was Medien und Fachwelt daran fasziniert, ist die unkonventionelle und doch reflektierte Position und Vorgehensweise. Da ist – zunächst nicht ungewöhnlich – der ökologische Ansatz. Der Bestand war ja da und konnte als Rohbau verwendet werden. Wozu ein Gebäude, in dem so viel Energie steckt („graue Energie“, sagen Experten), mit weiterer Energie abreißen und mit noch mehr Energie ein neues bauen? Brandlhuber ersetzte das Wellasbest-Satteldach durch ein flaches Dach aus wasserdichtem Beton, ganz simpel, ohne weitere Dachdeckung. Zwei Grad Neigung genügen, und das Wasser fließt zur Südwestecke, wo es über einen zweieinhalb Meter langen Wasserspeier abgeleitet wird. Wenn die Glashaube über der Treppe zur Seite gefahren ist, gelangt man über eine „Himmelstreppe“ auf die Dachterrasse mit fantastischer Rundumsicht.

Der typische DDR-Putz bleibt erhalten

Und da ist der gesellschaftliche Ansatz. Das Haus hat eine Geschichte. Die ehemalige Werksleiterin wohnt in der Nachbarschaft, auch viele Näherinnen und andere Mitarbeiter. Brandlhuber tat nicht, was 95 Prozent der Architekten getan hätten, nämlich alles schön verblenden, anmalen, behübschen, ein „neues“ Gebäude daraus machen, was den Sehgewohnheiten und Erwartungen der meisten Menschen entsprechen würde. Er nimmt an, was er vorgefunden hat, beschäftigt sich mit dem Bestand und seiner Historie und tritt in einen Dialog ein. Der typische grobe, grau geschlämmte DDR-Putz bleibt erhalten. Aber Brandlhuber treibt sein Spiel damit: Die Platte der Klingel- und Briefkastenanlage ist der Abguss einer Partie des Putzes in Aluminium und flächengleich in die Wand gesetzt. Auf den Klingelschildern ist „Lager“ oder „Verwaltung“ zu lesen, als wäre der Betrieb noch im Gang.

Und Brandlhuber hat eine andere, sagen wir: unübliche Auffassung von Ästhetik. Es gibt keine gestalterischen Setzungen, er lässt die Dinge sich entwickeln. Die Schönheit liegt im Entstehungsprozess. Zum Beispiel hatte das Haus viele kleine Fenster, weil es von einem Ausbildungsbetrieb gebaut wurde und jeder Lehrling ein Fenster zu mauern hatte. Um die großartige Aussicht nach Norden zum Wald und nach Süden über den See zu öffnen, lud Brandlhuber seine Freude zur Hammerparty. Die roh ausgebrochenen Öffnungen der „Panoramafenster“ wurden fixiert und verglast, fertig. Sichtbeton ist für ihn Standard bei Wänden, Decken, Fußboden, weil einfach und preiswert. „Gemütlich bin ich selbst“, um Karl Kraus zu zitieren.

Nachhaltigkeit effektiv erreicht

Baurechtlich handelt es sich um ein Atelierhaus, Wohnkomfort ist nicht vorgesehen. Farbe kommt durch die Kunst ins Haus, ein grünlich glitzernder Fels von Anselm Reyle, ein aus alten Tonbändern zusammengeklebter „Parkettboden“ von Gregor Hildebrandt, Arbeiten von Karin Sander und Björn Dahlem. Letzterer hat das Atelier im Erdgeschoss bezogen.

Brandlhuber nutzt die Sommerwohnung im Obergeschoss. Viel Raum fließt üppig um den Betonkern mit Küchenzeile, Bad und Sauna. Ein dünner Seidenvorhang mäandert durch den Raum, umrundet die Schlafinsel und grenzt 70 Quadratmeter Innenraum ab, die sich dann mithilfe eines Kamins gut heizen lassen. Denn für die Gesamtfläche reicht die Geothermieheizung an extrem kalten Tagen nicht aus.

Die vielgefragte Nachhaltigkeit lässt sich effektiver nicht erreichen, doch in diesem Fall geht sie mit einem eigenen Lebensstil, einem intensiven Raum- und Naturerlebnis und einem avantgardistischen Ästhetikverständnis einher. Und das ist es, dem Besucher und Journalisten nachspüren.

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