zum Hauptinhalt

Kultur: Berliner Festwochen: Tagebuch: Die aktuellen Konzerte

Das Konzert als Form des virtuosen Wettstreits ist einfach nicht totzukriegen. Was seit der Barockzeit Komponisten immer wieder inspirierte, ob "da camera" oder mit großem Orchesterapparat, greift heute auch die Moderne dankbar auf.

Das Konzert als Form des virtuosen Wettstreits ist einfach nicht totzukriegen. Was seit der Barockzeit Komponisten immer wieder inspirierte, ob "da camera" oder mit großem Orchesterapparat, greift heute auch die Moderne dankbar auf. Dass dies einen direkten, erkennbaren Traditionsbezug herstellt, ist allerdings erst seit der Preisgabe von "Fortschrittsdogmen" möglich. Alfred Schnittke war an der Herausbildung einer "Polystilistik" maßgeblich beteiligt, und so gehört auch Altvertrautes in Dur und Moll, von barocken bis zu Schubertschen Wendungen, zum "Jahrhundertklang". Trauer über verlorene Schönheit, deren Reste sie noch immer ahnen lassen und eine Harmonie neuen Typs hervorbringen, ist der Grundton der Musik des in Hamburg gestorbenen Wolga-Deutschen, Nostalgie in mehrfacher Hinsicht. Beredte Fürsprache findet sie im gut gefüllten Kammermusiksaal durch das Ensemble Oriol, zeigt sich unter David Colemans behutsamer Leitung vor allem als Schönheit des so sinnlichen wie spröden, homogenen wie vielfarbig zersplitterten Streicherklangs. Im Doppelkonzert für Oboe und Harfe (1972) ist er noch ganz dem "Sonorismus" à la "Warschauer Herbst" verhaftet. Dominik Wollenweber gibt dem klagend-zerrissenen Oboenpart enorme Ausdruckskraft, Julie Palloc sorgt für sonore Harfen-Motorik.

Das "Concerto grosso Nr. 1" (1977) zeichnet durch das Patchwork bekannter Muster samt ihrer Konnotationen ein distanzierteres Bild. Doch die Violinsolisten Ariadne Daskalakis und Florian Donderer finden auch hier für die Lamento-Ausbrüche und den fahl verdämmernden Schluss eindringliche Töne, versehen furiose Barock-Figuren mit angriffslustiger Virtuosität. Was zu Uraufführungszeiten skeptisch stimmte, erscheint nun doch als ideenreiche Plausibilität - dies machte Schnittke keiner seiner Epigonen nach. Viel Bravos für die engagierte, facettenreiche Wiedergabe. I. H.

Die "Punkte" von Karlheinz Stockhausen belegen wie kaum ein anderes Werk, welch gewaltige kompositionsgeschichtliche Entwicklung die Nachkriegsavantgarde binnen weniger Jahre absolvierte. 1952 als "Punktuelle Musik" isolierter Klangereignisse skizziert, folgte das Orchester-Stück 1962 bei seiner Uraufführung neuen ästhetischen Prämissen. Der extreme Serialismus hatte sich in der "Gruppenkomposition" dem Denken in größeren musikalischen Einheiten geöffnet, und gerichtete Prozesse traten an die Stelle mathematisch determinierter Tonpunkte. So steht der Titel der heute gültigen Fassung der "Punkte" im Widerspruch zur musikalischen Form des Werkes.

Kent Nagano verkürzte bei seiner Aufführung mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in der Philharmonie noch dazu die gliedernden Generalpausen auf ein Mindestmaß. Aus der Folge sich überlagernder "Momente" mit einfacher musikalischer Entwicklung wurde so ein eher amorpher Klang-Fluss, in dem einzig die retardierenden statischen Zeitfenster Gelegenheit zu musikalischer Ausgestaltung boten. Ihren Mut zur Neuen Musik müssen die großen Orchester leider mit Qualitätseinbußen bezahlen, die der unangemessen geringen Probenzeit geschuldet sind. Vereinzelte Buhrufe trafen nicht das beherzte Ensemble, sondern den Komponisten, der sich glücklich schätzen kann, noch immer zu polarisieren.

Ellen Corver ging danach in ihrer halbszenischen Interpretation von Stockhausens Klavierstück XIII "Luzifers Traum" (1981) aus der Oper "Samstag" aus "Licht" der Frage nach, wie die teuflische Sieben in die Fibonacci-Zahlenreihe des Werkes zu integrieren sei. Von der großen Septime bis zum lauten Zählen bot sie alle Mittel des "Instrumentalisten-Mimen" auf und erntete Jubel für ihre unaufdringliche Präsenz. str

Was Simon Rattle im großen Saal der Philharmonie vollbrachte, Arvo Pärt bescherte es dem Kammermusiksaal: echte Festwochenstimmung! Als sich auf ein Zeichen des Dirigenten in der vierten Reihe ein bärtiger Mann erhebt, wissen es endlich alle - der Meister ist unter uns. Und dazu noch mit einem brandneuen Stück. Die Uraufführung von "Orient & Occident" für Streichorchester ist aber keineswegs der Höhepunkt des Abends. Anklänge morgenländischer Harmonik werden auf recht platte Weise mit Dreiklangsharmonik verwoben.

Als Entschädigung gibt es im Anschluss einen wahren Geniestreich zu hören: "Tabula Rasa" für zwei Violinen, Streichorchester und präpariertes Klavier ist bei aller Einfachheit von einer klaren, beinahe überirdischen Schönheit, zumal bei so hingebungsvoll musizierenden Solistinnen wie Rachel Schettmann und Elisabeth Glass, die auch den höchsten Pianissimo-Tönen noch einen zarten Glanz verleihen. Im zweiten Satz zieht die Melancholie der Musik das Publikum vollständig in ihren Bann. Das Hauptwerk des zweiten Teils, "Te Deum" für drei Chöre, präpariertes Klavier, Tonband und Streichorchester ist zwar das opulenteste Werk dieses Abends, aber nicht unbedingt das gehaltvollste. Die klare Schönheit von "Tabula Rasa" schlägt hier um in wohlklingenden Sakral-Kitsch.

Ein Lob gebührt dem Litauischen Kammerorchester unter Saulius Sondeckis sowie dem Kammerchor Vilnius, die das Festwochenpublikum all die harte Arbeit der vorangegangenen Kammermusikabende vergessen ließen und es mit einem Gefühl andächtiger Begeisterung in den lauen Abend schickten. hak

I. H.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false