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Großes Besteck. Karim Sebastian Elias in seinem Zehlendorfer Tonstudio.

© Thilo Rückeis

Berliner Filmkomponist im Porträt: Der Gefühlsverstärker

Karim Sebastian Elias bringt Filmbilder zum Klingen. Neuerdings auch den Western "In einem wilden Land", der Dienstag im Fernsehen läuft. Ein Komponistenbesuch.

Gestern war er in München, Musikbesprechung bei der Bavaria für eine neue Fernsehserie. Gerade kommt er aus Babelsberg vom Unterrichten, da ist er an der Hochschule für Film und Fernsehen Professor für Komposition und Arrangement. Ende Oktober lief der von ihm vertonte Experimentalfilm „Der Schmetterlingsjäger“ auf der Viennale, vor einer Woche hatte ein ZDF-Film mit seiner Musik Premiere, jetzt am kommenden Dienstag auf Sat 1 der Western „In einem wilden Land“. Fürs Kino steht ein Dokumentarfilm der Berliner Regisseurin Britta Wauer an. Eigentlich drängt die nächste Abgabe immer: Karim Sebastian Elias ist ein viel beschäftigter Mann.

Und trotzdem einer der Leute, deren Name bei Filmcredits gern übersehen wird. Da merkt man sich die Schauspieler, vielleicht den Regisseur und ausnahmsweise noch den Kameramann, aber bestimmt keinen Komponisten. 1971 geboren, an der Folkwang-Universität Essen in Tonsatz, Piano und Kontrabass ausgebildet, seit 13 Jahren in Berlin ansässig. Dabei machen Musik und Sounddesign 50 Prozent der Wirkung eines Films aus. Sagt zumindest Steven Spielberg, den Karim Sebastian Elias in diesem Zusammenhang gerne zitiert.

In seinem mit Kontrabass, Keyboard und Computer vollgestellten Zehlendorfer Arbeitszimmer liegen stapelweise Noten. Der Glaskegel da auf dem Fensterbrett ist der Deutsche Fernsehpreis, den er 2008 für die Musiken zu „Bella Block: Weiße Nächte“ und „Die Schatzinsel“ erhalten hat. Eine Partitur hat nicht weniger als 60 Orchesterstimmen. Zwei bis sechs Monate braucht er pro Kinofilm, vier Wochen bis drei Monate für eine Fernsehproduktion. „Das Ringen um die richtige Musikfarbe ist sehr schwer, vorher muss mir der Regisseur immer unheimlich viele Adjektive zum Charakter seines Films nennen.“ Manchmal ist die Zusammenarbeit noch enger: Bei Komiker Otto Waalkes ist er 2010 gleich für vier Wochen eingezogen, als er die elegante Musik für dessen Komödie „Otto’s Eleven“ geschrieben hat. „Da schlafe ich dann nur drei Stunden pro Nacht.“ Elias reicht eine gebundene Filmmusik zum Anschauen herüber. Puh, 100 komponierte Minuten haben auf Papier ganz schön Gewicht.

Gewicht und zugleich Leichtigkeit, wie die für einen Dokumentarfilm ungewöhnlich epische Musik, die er zu Britta Wauers auf der Berlinale 2011 mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnete Dokumentation „Im Himmel, unter der Erde“ geschrieben hat. Diese in großem sinfonischen Gestus geschriebene bittersüße Komposition macht, dass die Dokumentation über die jüdische Begräbnisstätte in Weißensee der lebendigste Friedhofsfilm ist, den man sich denken kann. Gefallen hat sie, bei allen euphorischen Pressestimmen im In- und Ausland, längst nicht allen Puristen, die die unstrittige manipulative Kraft des Gefühlsverstärkers Filmmusik eh für Teufelswerk halten. Hat Karim Sebastian Elias nicht wirklich gewundert. Er weiß, dass eine süffige Musik polarisiert. Gerade beim Dokumentarfilm. „Musik ist eine unfassbar kraftvolle Kunstform, die man mit Bedacht, aber auch ohne Angst einsetzen muss.“ Und das sprengt in seinem Fall auch bei den Dokus „Rhythm is it!“ oder „Gerdas Schweigen“ den Rahmen eines rein dienenden Klangteppichs.

Deswegen mag er auch pathetische Abenteuerfilmmusik, wie er sie für „Die Schatzinsel“ oder jetzt für „In einem wilden Land“ geschrieben hat. „Weil die Musik Musik sein darf, sich nicht verstecken muss, groß sein kann.“ Ein gutes Leitmotiv zu finden, sei in diesem Genre aber genauso schwer wie in der von ihm häufig als wenig komplex empfundenen Krimimusik. Für die mit Benno Fürmann, Nadja Uhl und Thomas Thieme besetzte Westernsaga, in der sich deutsche Siedler ins Indianerland wagen, hat er dafür das Kopfthema des Volkslieds „Kein schöner Land“ weitergeführt. Mit den Hörklischees des klassischen Western hat der Score nichts zu tun. „Weil es keine Cowboygeschichte ist, sondern eine von deutschen Einwanderern“, sagt Elias.

Die brächten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die romantische Musiktradition von Brahms und Wagner oder eben Volkslieder mit – nicht Mundharmonika und Westerngitarre. Schade eigentlich, wo doch Ennio Morricone von Kindesbeinen an einer seiner Helden war. „Das Streicher- und Klavierthema in ,Der Profi‘ mit Jean-Paul Belmondo hat mich mit elf schwer gekickt.“ Und – unschwer zu raten – auch die gelegentlich als Kitschkönige bezeichneten Komponistenkollegen aus Hollywood, Hans Zimmer und John Williams.

Letzterer ist auch ein Anhänger von Leitmotivik und klassischer sinfonischer Filmmusik. Wie Elias, der eben mal so im Gespräch singend und gestikulierend alle denkbaren musiktheoretischen Bezüge einer vorhin mit seinen Filmmusikstudenten durchgenommenen Partitur von Patrick Doyle analysiert. Eingespielt hat er den – auch mit elektronischen Elementen arbeitenden Abenteuersoundtrack – wieder mit seinem Stammensemble, dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt. Und das Ergebnis? Sei ganz klar Genremusik, sagt Elias, aber eine eigenständige, natürlich nicht so filigran wie die von „Im Himmel, unter der Erde“. Er selbst finde ja eh immer die Kompositionen von anderen besser.

Sympathisch, diese Selbstzweifel. Findet man viel zu selten bei Leuten seiner Liga. Wobei er gegen den Begriff Genre gar nichts hat. Aber schon gegen den damit stets verbundenen Gefälligkeitsverdacht. „Es ist verdammt komplex, ein gutes Thema zu schreiben und variantenreich auszuführen.“ Und dann merkt das wieder keiner, wie häufig der Soundtrack zurückgenommen, ja geradezu kammermusikalisch gearbeitet ist. Karim Sebastian Elias seufzt. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach. „Ich mag Melodien“, sagt er. „Ich suche immer nach dem Wohlgefühl, das durch Musik erzeugt werden kann.“ Wie schwer das auch ist.

„In einem wilden Land“: Sat 1, 12.11., 20.15 Uhr. „Im Himmel unter der Erde“: DVD Salzgeber, CD Soundtrack von Karim Sebastian Elias Alhambra (DA Music)

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