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Jetzt noch mal mit Anlauf. Szene aus Thomas Sutters Stück „Spaghettihochzeit“ im Atze Musiktheater.

© jJörg Metzner/Atze Musiktheater

Berliner Kulturpolitik: Mehr Geld für Kinder- und Jugendtheater

Geht doch: Die Berliner Kinder- und Jugendtheater werden mit jährlich 600 000 Euro mehr gefördert. So hat es das Abgeordnetenhaus nun beschlossen, nachdem der Regierende Michael Müller im Herbst Nachbesserungen versprochen hatte.

Am 9. Januar steht im Atze Musiktheater eine Uraufführung an: Intendant Thomas Sutter bringt „Die Ministerpräsidentin“ auf die Bühne, nach dem Roman des Norwegers Tore Tungodden. In dem Stück geht es um eine neu gegründete Partei namens „Stimme der Zukunft“, die eine Zwölfjährige als Spitzenkandidatin aufstellt – und diese Hannah, die immer unverblümt ihre Meinung sagt, gewinnt tatsächlich die Wahlen!

Ganz so weit, dass Minderjährige das Regierungsprogramm bestimmen dürfen, ist man in Berlin zwar noch nicht. Aber immerhin haben die Parlamentarier bei der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2016/17 jetzt ein Herz für Kinder gezeigt. In allerletzter Minute ließ sich die Koalition davon überzeugen, dass nicht nur die Macher der Freien Szene in der Hauptstadt mehr Zuwendung verdient haben, sondern eben auch jene Künstler, die sich um den Nachwuchs kümmern.

Im mächtigen Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses wurde eine Aufstockung des Etats für Kinder- und Jugendtheater um jeweils eine halbe Million Euro pro Jahr beschlossen. Zusammen mit den auf 2016 und 2017 verteilten 200 000 Euro, die Ende September bereits im Kulturausschuss dem ursprünglichen Etatentwurf von Michael Müller und seinem Kulturstaatssekretär Tim Renner hinzugefügt worden waren, macht das jährlich 600 000 Euro mehr für das Genre.

Auch das Theater Rambazamba darf sich über mehr Geld freuen

Zwei Institutionen profitieren direkt von diesem Geldsegen: Das strukturell unterfinanzierte Grips Theater erhält künftig 150 000 Euro mehr. Derzeit beläuft sich die Senatsförderung für die weltberühmte Bühne auf 2,8 Millionen Euro – was sich nach viel anhört, aber wenig ist für eine ganze Saison mit vollem Spielbetrieb. Gerade im Vergleich mit den Erwachsenentheatern. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz beispielsweise erhält 2016 18,3 Millionen Euro, 2017 sogar 19,9 Millionen Euro. Ursprünglich hatten Müller und Renner keine zusätzlichen Mittel für das Grips eingeplant, der Kulturausschuss verlangte 50 000 Euro extra, der Hauptausschuss legte nun noch einmal 100 000 Euro drauf.

Über mehr Geld darf sich auch Rambazamba freuen, das 1990 gegründete integrative Theaterprojekt für Menschen mit Behinderung mit Spielstätte in der Kulturbrauerei. Erst für 2017 war im Kulturausschuss eine Finanzspritze von 50 000 Euro bewilligt worden, nun gibt es 100 000 Euro vom Hauptausschuss, sogar für beide Jahre des Doppelhaushalts.

Es gibt auch einen Feuerwehrtopf. Das Atze Musiktheater könnte davon profitieren

Weitere 300 000 Euro stehen zudem jeweils 2016 und 2017 für den Bereich Kinder- und Jugendtheater zur Verfügung, für „unterjährige Bedarfe“, wie es im Haushälterdeutsch heißt, also ohne spezifischen Verwendungszweck. Damit haben die Abgeordneten eine Art Feuerwehrtopf geschaffen, aus dem notleidende Bühnen Einmalzahlungen erhalten können. Beispielsweise das Weddinger Musiktheater Atze, das im Rechtsstreit mit der Bayerischen Versorgungskammer liegt. Per Gericht wurde Atze verpflichtet, seine Beschäftigten sozialversicherungspflichtig anzumelden. Was zwangsläufig zum Konkurs des Hauses führen würde. Denn dass Atze bei einem staatlichen Zuschuss von 680 000 Euro jährlich fast 400 Vorstellungen stemmt, kann nur klappen, weil die Bühne nicht mit fest angestellten Schauspielern arbeitet, sondern mit Freiberuflern. Eine bundesweit gängige Praxis im Bereich der Freien Gruppen, die von der Bayerischen Versorgungskammer bekämpft wird. Derzeit läuft das Verfahren noch, weil Atze in Berufung gegangen ist. Sollten die Künstler unterliegen, könnte der Senat die Bühne mithilfe des 300 000 Euro-Topfs vor dem Aus bewahren.

Auf die Feststellung, dass die Kinder- und Jugendtheater die Verlierer im kommenden Doppelhaushalt seien, weil sie – überraschend bei einem SPD-geführten Senat – keine Zuwendungserhöhung erhielten, hatte der Regierende Bürgermeister im Oktober im Tagesspiegel-Interview mit einer Bemühenszusage reagiert. „Wir müssen bei diesem Thema noch einmal an die Arbeit gehen, man hat das auch im Parlament erkannt. Im Moment ist die Situation für die Kinder- und Jugendtheater tatsächlich nicht einfach.“ Dass diese Einsicht im Abgeordnetenhaus geteilt wurde, kann gar nicht genug gelobt werden. Weil der Beschluss die Wertschätzung jener widerspiegelt, die die kulturelle Basisarbeit leisten – und damit im Idealfall das Publikum von morgen gewinnen.

Im Stück „Die Ministerpräsidentin“ erweitert die zwölfjährige Wahlsiegerin Hannah ihr Kabinett übrigens um ein neu erfundenes „Streitministerium“. Eine Behörde zur Zoffvermeidung – das könnte die Berliner Koalition derzeit ziemlich gut gebrauchen.

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