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Blick aus dem Kleistpark durch die Königskolonnaden auf die Potsdamer Straße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kleistpark: Schöneberger Lichtung

Nicht groß, aber alt – der Kleistpark war 200 Jahre Botanischer Garten. Heute ist die Vielfalt menschlich.

Ab wann gilt ein Balkon als Terrasse? Ein Haus als Villa, ein Job als Karriere? Ist in diesem Sinne der Kleistpark überhaupt ein Park?

Neben der U-Bahn-Station und der Verkehrskreuzung mit ihren kurzen Grünphasen liegt ein kleines grünes Areal mit Leinenzwang, Grillverbot und Schließzeit. Es ist im Großen und Ganzen Abkürzung für Radfahrer, nicht viel mehr als eine Wiese, in der Hauptsache eine baumumstandene Lichtung, umrundet von einer riesigen geschwungenen, sechs Meter breiten Zufahrt zum imposanten Kammergericht.

Keine Ahnung, warum der Kurfürst gerade hier seinen Königlichen Küchengarten haben wollte. Der wuchs sich aus zum Botanischen Garten samt Palmenhaus und lockte 200 Jahre die Besucher an. 1903 wurde er wegen Platzmangels nach Dahlem verlegt, doch sein Prinzip, das Prinzip des botanischen Gartens, das Verpflanzen, Umtopfen, Einschleppen und Verwurzeln von einander scheinbar unverträglichen Arten, die einmal als fremd begriffen wurden und nun nebeneinander gedeihen, dieses Prinzip blieb hier.

Die prächtigen Kolonnaden: von der Königsbrücke am Alexanderplatz 1910 hierher versetzt.

Die Bronzestatuen der nackten Rossbändiger: gehören eigentlich auf die Terrasse des alten Stadtschlosses und wurden von den Alliierten aus dem Lustgarten hierher verschleppt.

Es kamen die Alliierten selbst, Abgesandte aus vier Nationen, die ihre Fahnen vor dem Gebäude aufpflanzten und das Haus ihr Kontrollratsgebäude nannten. Ein paar Jahre sah es so aus, als würden auch sie Wurzeln schlagen, doch dann fiel die Mauer.

Man geht ja auch in einen Park, um den Kopf von Überflüssigem zu befreien, den Gedanken ebenfalls einen Spaziergang zu erlauben, und dabei zuzusehen, wohin sie einen führen. Immer wieder bleiben sie bei den Besuchern hängen, die hier so ungerührt und unbehelligt sie selbst sind. In einem botanischen Garten hat ja bald jedes Gewächs einen Migrationshintergrund. Und solange man jedes auf seine eigene Art pflegt, geht es allen gut. Und deshalb gießen sich die einen nun ein Bier hinter die Binde und die anderen verdunsten beim Joggen bloß Wasser.

Deutsche Geschichte im Kleistpark

Man kann dann auf der Erde sitzen, wo die Wiese erst gerade wieder zu einem Rasen manikürt wurde, und sich fragen, warum bloß immer auf der Wiese gesessen wird und die meisten Menschen in Parks Denkmäler und Gedenktafeln ignorieren. Es ist, als wären sie Luft. Das Ignorieren von Denkmälern ist eine weit verbreitete, vielleicht die am häufigsten anzutreffende Tätigkeit in deutschen Parks. Was vielleicht daran liegt, dass kaum jemand aus einem Bildungsbedürfnis heraus einen Park besucht. Und schon gar nicht in einem sogenannten Anwohner-Park.

Und so ist es möglich, im Kleistpark die prächtigen sogenannten Königs-Kolonnaden zu ignorieren, die 1777 von Karl von Gontard, dem Hofarchitekten des Alten Fritz, entworfen wurden und am Alexanderplatz einem Wertheim weichen mussten. Man kann den „Genius des Geistes“, den geflügelten Engel mit seiner Fackel, übersehen. Niemals auch sieht man jemanden vor der Gedenktafel stehen, auf der steht, dass im heutigen Kammergericht die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt wurden. Und nur sehr kleine Kinder wiehern beim Anblick der grandiosen Rossbändiger mit ihren Pferden begeistert los, die ja geformt wurden von Peter Baron Clodt von Jürgensberg, einem Bildhauer mit einem Faible für Venen.

Die meisten Parkbesucher sind zufrieden mit Himmel und Erde. Doch wenn sie sich auf dem Grün ausstrecken und noch oben blicken, will auch der Himmel eine blaue Gedenktafel sein, denn wer weiß schon, dass von hier aus der Berliner Luftraum kontrolliert wurde? Es war die letzte Aufgabe, die die vier Mächte ab 1954 bis zuletzt gemeinsam erledigten.

Im Sommer 2012 spielen auf der Wiese vor dem Haus mehr unterschiedliche Nationen Federball miteinander, als je am Krieg beteiligt waren. Andere picknicken auf einer Decke, eine Frau macht eine Kerze. In Parks geht, wer sich frei fühlen will und eine Weile lang keine Pflichten hat. Niemand zwingt einen deshalb auch, das Haus am Kleistpark anzusehen, das ehemalige Botanische Museum, wo heute die Musikschule übt, wo ausgefallene Konzerte und überraschende Ausstellungen stattfinden.

Ach, es ist ja auch im Liegen sichtbar, wie in diesem Garten alles so nebeneinander gedeiht. Jedes für sich sind es stolze Exemplare ihrer Art: Gebäude und Plastiken, Architektur, Botanik und Mensch. Aber was ergibt das zusammen? Ein Sammelsurium. Eine Collage. Alles kontrastiert mit allem: die Majestät der Bäume mit dem schießenden Gras zwischen den Pflastersteinen, die Kolonnaden im preußischen Rokoko mit den 60er-Jahre-Bauten an der Potsdamer Straße, das neubarocke Kammergericht mit dem sogenannten Kathreiner-Hochhaus, einer Spielart der Moderne. Von Norden ragt der Sozialpalast über die Wipfel, ein paar gerupfte Rosen verlachen lautlos das klassische Konzept eines Parks.

Gezaustes Grün und Berliner Pflanzen prallen urban aufeinander. Das wirkt zufällig und lässig. Es ist einmal viel Geld hineingeflossen, aber das Ergebnis ist trotzdem nicht repräsentativ: ein Park wie Berlin vor seiner Entdeckung.

Seitdem vor über 100 Jahren der Botanische Garten in Dahlem eröffnete, nennen sie in Schöneberg das Nebeneinander der Arten nicht mehr exotisch. Es heißt jetzt nur noch tolerant.

Aber trotz der räudigen Umgebung atmet der Park noch etwas Feudales aus der Zeit, als der Garten zuerst begann, ein Garten zu sein. 1591 verzeichnet das Amtsregister Hopfenanbau. Die kurfürstliche Brauerei braute daraus ihr Bier und zahlte es den Soldaten als Sold. Heute herrscht die Majestät der alten Bäume und die Würde des Gerichts. Das Gesetz der Natur und die Natur der Gesetze. Leinenzwang, Grillverbot und Schließzeit. Je nach Sonnenstand steht das Gericht im Schatten der Bäume oder umgekehrt.

Wenn im Gehen der Blick über die Zigarettenstummel, Kronkorken und jede Menge schwarzer Eislöffel streift – Eislöffel? Eislöffel? –, wird klar, die gehören zu den Bechern, die hier in Mengen herumgetragen werden. Es wird in diesem Park nämlich ungeheuer viel Eis verzehrt.

Es kommt aus dem kleinen Laden in der Elßholzstraße, die ja nach einem Botaniker heißt, so wie die parallele Gleditschstraße nach einem ehemaligen Direktor des Botanischen Gartens benannt ist.

In dem Eisladen kombiniert man einander fremde Zutaten, die nichts miteinander zu tun haben, geschmacklich aber harmonieren. Das heißt dann nicht mehr tolerant, sondern originell.

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