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Konzertmeister Noah Bendix-Balgley (links) und Viola-Solist Amihai Grosz am Donnerstag bei der Zugabe.

© Stephan Rabold

Berliner Philharmoniker: Der Himmel ist leer

Bei ihrer Biennale ehren die Berliner Philharmoniker György Ligeti mit einer Aufführung seines „Requiem“. Matthias Pintscher dirigiert, Amihai Grosz spielt Martinus Bratschenkonzert.

Von Eleonore Büning

Aus schwarzer Tiefe schwimmen Klangschollen herauf. Mit vierfach geteilten Bässen geht das los, an der Grenze des gerade noch Hörbaren. Dann treten vierfach geteilte Tenöre, dann Altstimmen dazu, schließlich die Soprane. Es wird also laufend lauter und heller in diesem anschwellenden Massenchor. Die Schollen schwimmen näher, sie überlagern sich und kollidieren, brillant einstudiert vom Berliner Rundfunkchor: Es werde Licht. Man kann freilich kaum ein Wort verstehen, so komplex ist die Faktur. 

Viele wunderfeine Tonmalereien zum Thema Morgendämmerung gibt es in der Musikgeschichte, die für den Introitus-Gesang, mit dem György Ligeti sein  „Requiem“ beginnt, als Muster hätten dienen können. Sie alle verbreiten Hoffnung.

Für Ligeti dagegen lautet die Botschaft: Bedrohung, Angst, Panik, Verzweiflung – apokalyptische Affekte, die sich im nächstfolgenden Satz massiv verstärken: eine gigantische Doppelfuge türmt sich auf, der Chorsatz verzweigt und verliert sich ins Zwanzigstimmige, das Orchester brüllt. Der Himmel ist leer, kein „Erbarmen“ in Sicht. 

Ein politisches Stück

Es fröstelt einen beim Zuhören. Stanley Kubrick hat diesen schockierenden „Kyrie“-Satz in seinem Film „Odyssee im Weltraum“ verwendet. Ligeti dagegen erklärte, obgleich selbst Jude, habe er die erste Idee dazu unter dem Eindruck der Verfolgungen gehabt, denen die Katholiken in Ungarn nach 1945 ausgesetzt waren. Sein „Requiem“ ist also, letzten Endes, ein politisches Stück.

Wie in anderen Nachkriegswerken auch, die jetzt in der philharmonischen Biennale rund um den Jubiläums-Komponisten Ligeti gebündelt werden, hallen hier die Traumata des zweiten Weltkriegs nach. Erste Skizzen des „Requiems“, das nur vier Teile der Messe verwendet, entstanden schon 1953, vollendet wurde es 1963.

Diese Musik altert nicht

Im Zentrum steht der dramatisch zerklüftete, phonetisch zerpflückte Tag des Zornes, machtvoll in den Raum gestellt von dem kurzfristig eingesprungenen Dirigenten Matthias Pintscher, brillant überwölbt von den Solo-Sopranen Makeda Monnet und, ebenfalls eingesprungen: Virpi Räisänen. Dabei scheint diese Musik nicht im Geringsten gealtert zu sein. Wie viele der Avantgarde-Pamphlete aus den fünfziger und sechziger Jahren wirkt sie frisch und unmittelbar verstörend, wie für unsere friedenverwöhnte Generation bestimmt.

Das gilt auch für Bernd Alois Zimmermanns „Musikzermanschmaschine“ der König-Ubu-Suite von 1965/68. Eine Groteske: Sie erzählt von der brutalen Unmenschlichkeit, die sich in der vorgeblichen Dummheit des Diktators verbirgt. Es hagelt Zitate, genial ins Schwarze zielend. Die Berliner Philharmoniker haben dieses blitzgescheit komponierte Stück zum überhaupt ersten Mal einstudiert, und zwar sichtlich mit Vergnügen. Die Kontrabassisten, allen voran Janne Saksala, hängen bei ihren virtuosen Flageolett-Eskapaden über dem Instrument wie Ertrunkene.

Folgt im Programm das ebenfalls zum ersten Mal von den Philharmonikern angepackte Bratschenkonzert von Bohuslav Martinu, der 1941 in die USA emigrieren musste: eine neoromantische Rhapsodie, randvoll mit heimatlichen Sehnsuchtsmelodien. Die werden perfekt legatoschön in Samt und Gold gehüllt. Zumal von dem konzertierenden Solobratscher der Philharmoniker, Amihai Grosz, der anschließend, gemeinsam mit dem Konzertmeister Noah Bendix-Balgley noch ein hochvirtuoses Duo-Madrigal von Martinu zum Besten gibt, als umjubelte Zugabe.

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