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Kultur: Berliner Philharmoniker: In Arkadien

Wäre der Platz zwischen den Sitzreihen der Berliner Philharmonie nicht allzu knapp bemessen, hätten 2700 Menschen an diesem Abend kniefällig danken und beten müssen. Danken für eines der grandiosesten, mitreißendsten Philharmoniker-Konzerte seit langem.

Wäre der Platz zwischen den Sitzreihen der Berliner Philharmonie nicht allzu knapp bemessen, hätten 2700 Menschen an diesem Abend kniefällig danken und beten müssen. Danken für eines der grandiosesten, mitreißendsten Philharmoniker-Konzerte seit langem. Und beten, dass Simon Rattle auch wirklich kommt und bald seinen Vertrag unterschreibt. Es gibt wohl keinen Dirigenten, der die musikalische Alchemie von Spontaneität und Kalkül so bis in die Extreme ausreizt wie Sir Simon. Schon das Programm wirkt auf den ersten Blick willkürlich und ist doch in mehrfacher Hinsicht klug gewählt. Erstens als Rattle-Sampler, der sofort den Wunsch nach mehr weckt: Wer würde nach dem packenden zweiten Akt von Janáceks "Jenufa" nicht sofort den Rest dieser Oper hören wollen? Und wer würde nach dieser so noch nie gehörten "Pastorale" nicht jeden Kartenpreis für Rattles-Beethoven-Zyklus bei den nächsten Festwochen zahlen wollen? Zweitens ist Rattles Beethoven ein spektakuläres Beispiel für die bis in feinstes Stimmen-Filigran getriebene Klangkultur der Philharmoniker. Und drittens: Wer sonst wäre überhaupt auf die Idde dieser scheinbar bizarren Programmkombination gekommen? Und welchem Dirigenten wäre es gelungen, das Disparate so faszinierend zusammenzufügen?

Gemeinsam ist beiden Werken das Verdichten der Naturklänge zur musikalischen Kunstsprache, das Schöpfen aus einer ländlichen Welt, die bei Janácek zur hochexpressiven Seelenmusik, bei Beethoven zum pastellfarben empfindsamen Idyll wird. Gemeinsam sind die rhythmischen Antriebskräfte der Musik, die die vier Darsteller des "Jenufa"-Aktes in die Katastrophe treiben und die als sanft insistierendes Bachgemurmel im langsamen Satz der "Pastorale" immer wieder das Versinken in Beschaulichkeit verhindern. Gegensätzlich ist die emotionale Aufladung der Stücke, die Rattle ins Extrem treibt: Der "Jenufa"-Akt wird zum großen Strom, aus dem Anja Siljas tragisch-majestätische Küsterin herausragt wie ein scharfkantiger Monolith (die hervorragend singenden Elena Prokina, Herbert Lippert und Robert Gambill agieren da stromlinienförmiger). Wie Balsam wirkt anschließend die "Pastorale": als aus einer fernen Welt heranwehende Vision eines imaginären Arkadien, wo das Glück keine Zeit kennt, alles zur Ruhe einlädt und selbst ein kräftig donnerndes Gewitter gleich wieder in die kreisende Endlosbewegung eines Reigens mündet. Ein Blick ins Paradies.

Jörg Königsdorf

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