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Konzertmeister Daniel Stabrawa

© Jim Rakete/Berliner Philharmoniker

Berliner Philharmoniker: Ins Netz gegangen

Rares mit Simon Rattle und Konzertmeister Daniel Stabrawa: Ein spannender, erhellender Abend bei den Berliner Philharmonikern.

Von wegen konservative Klassikkonsumenten! Die Namen der Komponisten, die am Donnerstag erklingen, hören die meisten Besucher vermutlich zum ersten Mal, zwei der Werke stammen aus dem 20. Jahrhundert, das dritte ist 262 Jahre alt – weiter kann man sich nicht vom Wunschprogramm des ewig gleichen Kernrepertoires entfernen. Und doch bleibt kein Platz frei in der Philharmonie. Neugierig lauschen die Leute Simon Rattle und seinen Musikern, begeistert klingt am Ende der Applaus.

Unter den Spitzendirigenten gibt es kaum einen, der mit dem extrem breiten Interessenspektrum des Philharmoniker-Chefs konkurrieren könnte: Alle drei Raritäten des Abends sind ihm echte Herzensangelegenheiten, für den französischen Barockmeister Jean-Philippe Rameau setzt er sich seit Jahrzehnten ebenso ein wie für den Polen Karol Szymanowski. Bei dessen zweitem, 1933 entstandenen Violinkonzert ist jetzt Daniel Stabrawa sein Mitstreiter, der in Krakau geborene Konzertmeister des Orchesters. Eine wunderbar-wunderliche Musik erklingt da, sehr eigen, auf faszinierende Weise vermittelnd zwischen flamboyanter Romantik, Expressionismus und der scharf rhythmisierten Volksmusik der polnischen Tatra-Bewohner. Stabrawa, als Künstler eher Melancholiker denn Selbstdarsteller, stellt sich den technischen Herausforderungen souverän – und berührt durch sehnsuchtsvollen Geigengesang.

Um Albert Roussels „Le festin d’araignée“ von 1913 genießen zu können, sollte man die Handlung der Ballettpantomime nicht zu genau studieren – sonst ist die Versuchung stark, nur nach den verschiedenen Insekten zu lauschen, die in diesem „Spinnenfest“ mitspielen. Viel interessanter aber sind Roussels raffinierte Instrumentalmischungen, die südlich-sinnlichen Klangfarben dieses tierischen Tongedichts, dem Rattles feinfühlige Interpretation eine mittsommernächtliche Atmosphäre verleiht. Keinerlei Librettokenntnis ist auch für die Suite aus Rameaus Oper „Les Boréades“ nötig. Staunen macht hier allein schon die Experimentierfreude des 80-Jährigen – im 17. Jahrhundert ein rares Greisenalter! –, der das Orchester tanzen lässt wie ein Jüngling und zudem Wind und Wetter in Noten bannt, dass den Zuhörern die Ohren sausen!

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