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Kultur: Berliner Sophiensäle: Noch hält den Kragen eine Rosenblüte

Manchmal führen die so genannten kleinen Aufführungen den Beweis: Die Schauspieler und die Wörter sind es, von denen das Theater lebt. Nicht der äußere Pomp.

Manchmal führen die so genannten kleinen Aufführungen den Beweis: Die Schauspieler und die Wörter sind es, von denen das Theater lebt. Nicht der äußere Pomp. Zwei Inszenierungen dieser Art gibt es jetzt in den Berliner Sophiensälen zu sehen. "DaF - Deutsch als Fremd", ein Stück von Arna Aley aus Litauen ist eine knallige Nummernrevue. Gegenstand: Was ist deutsch? In höchst unterhaltsamen Szenen aus dem deutschen Alltag werfen fünf ausländische Schauspielerinnen diese Frage auf. Für die Nicht-Deutschen ist Deutschland vor allem eines: Spracharbeit und Sprachverwunderung. Sowie die alltägliche deutsch-ordentliche Bestrafung bei Versagen vor der Wörtermaloche. So etwa vor diversen Ladentheken oder im Bett mit einem deutschen Liebhaber ("ein Widerspruch in sich"). Das ist trivial. Und urkomisch. Und: poetisch. Denn Beáta Nagy macht etwas aus den unterschiedlichen Fähigkeiten ihrer Darstellerinnen. Amy Green, die Kalifornierin, zum Beispiel singt wunderschön ein Kirchenlied, unmittelbar nachdem ihre Kollegin vor der Bäckerstheke beim Aussprechen des Wortes "Brötchen" komisch versagt hat. Oder geradezu mafios die Ukrainerin Natascha Bondar: Sie spielt so laut, so hart, dass man sich als ängstlicher Deutscher fast bedroht fühlt auf seinem Plätzchen. Als solcher hat man ja zwei Köpfe, um sich vom Leben abzuhalten, erzählt uns die Russin: In ihrem Land heißt das beliebteste Kartenspiel "Dummkopf" und hier?: Na, "Doppelkopf" halt ...

Nach dieser kurzweiligen Hinterfragung unserer Wesensart ziehen wir beschämt von dannen, hoffend auf Schutz bei Dostojewskis Roman "Der Idiot". Kein Schutz also. Vielmehr ein skrupelhaftes Sezieren dessen, was "Leben" sei. Im schäbig-coolen Foyer des Festsaales hat der junge Regisseur Boris von Poser, zusammen mit dem ebenfalls jungen Schauspieler Matthias Bundschuh, den Roman als kleines Monodrama eingerichtet: "Ippolit ...". Bundschuh spielt den Ippolit. Jener durch die Schwindsucht bereits todkranke Student ist hier der Protagonist - anders als in Dostojewskis riesenhaftem Roman, in dessen Zentrum der Epileptiker Myschkin steht. Eine Akzentverschiebung zugunsten von Radikalität, Materialismus, Nihilismus. Doch Dostojewskische Figuren sind so einfach ja nicht. Also ist da beides: Leben und Tod, Glaube und Zweifel, Erlösung und Verdammnis. Boris von Poser inszeniert den Monolog offen: Was bei Dostojewski etwa die Geburtstagsgesellschaft ist, vor der Ippolit fieberhaft seine philosophisch unterfütterte Lebens-"Erklärung" vorträgt, das ist hier das Publikum, der Widerpart, den dieser Redekünstler braucht. Schließlich muss er sterben, will er sterben - und will es doch nicht. Also redet Ippolit sich fast um den Verstand. Matthias Bundschuh macht das mit Wörtern und mit dem Körper. Letzterer zittert. Oft bis in die Fingerspitzen hinein. Ein Nervöser, ein Kranker.

Was in dieser kleinen Arbeit famos gelingt, ist die auch bei Dostojewski stets durchscheinende Verschränkung des Ernsten, Tiefgründigen mit dem Komischen: Ippolit ist der komische Mensch. Sein fiebriger Wahn, sein philosophisch-schürfender Eifer geht bei dem Schauspieler Bundschuh immer auch in den Körper. Und deshalb fast in den Slapstick. Ein Zappelphilipp, dem alles aus der Hand fällt und dessen Hosenfarbe haarscharf nicht zu der des Jacketts passt. Den Kragen des Hemds hält eine Rosenblüte zusammen. Überhaupt schleppt er dauernd Blumen mit sich herum: So wirkt er chaplinesk - in stetem Wechsel zwischen hoffnungsvollem Eifer und frustrierter Verzagtheit. Ein Wankelmütiger. Nur etwas boshafter als der berühmte Komiker. Am Ende wird er zu seinem Publikum sagen: "Meine Herrschaften, ich bedauere, dass ich sie zu Tode gelangweilt habe. Natürlich bedauere ich, dass ich sie nicht zu Tode gelangweilt habe."

Alexander Haas

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