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Abgang. Anderthalb Jahrzehnte hat Silvio Berlusconi Italien in jeder Hinsicht heruntergewirtschaftet. Das Land wird noch lange unter den Folgen seiner Ära leiden.

© AFP

Berlusconis Italien: Zombieland ist abgebrannt

Berlusconi-Jahre sind Hundejahre, sie zählen siebenfach: Italiens Gefühlshaushalt nach dem Rücktritt

Es muss seltsam sein, jetzt in Italien zu leben, schrieb mir dieser Tage ein Freund. Endlich wird man diesen Untoten wohl los, und dann ist es ohne ihn ebenso bedrückend wie zuvor, und man kann’s nicht einmal genießen. Egal. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute.

Tja. Auf Facebook zirkulierte seit Tagen der Berlushka-bye-bye-Song, vorgetragen mit Kate-Bush-Kopfstimme, die No-Berlusconi-Gruppen stehen vor der Archivierung, der TV-Sender La 7 strahlte eine Wiederholung der Videodemontage „Silvio, du fehlst uns“ aus. Aber bis zuletzt fühlte sich das Leben hier an wie bei einem Paar, das bis zur Scheidung noch in der gemeinsamen Wohnung leben muss. Nachts hört sie ihn schnarchen, und morgens findet sie seine Haare im Waschbecken. Er sagt: Sie ist hysterisch. Und sie sagt: Alle Männer sind Schweine.

Natürlich ist nun die Aussicht erleichternd, dass ich mich nicht mehr fremdschämen muss. In London eröffnete die Pizzeria BungaBunga, in Russland kursierte ein Trickfilm, in dem B. vor Viagra-Wänden tanzt, in Japan tauchte er in einem Mangacomic auf, in dem sexy Krankenschwestern Hand anlegen. Und zuletzt wurden in London Kompost-Eimer mit den Namen der Minister der letzten Berlusconi-Regierung vertrieben. Das ist ein Fortschritt.

In den Morgennachrichten von Radio Capital wurde er Ende der Woche, bevor der Rücktritt ihm nochmal Top-Präsenz bescherte, höchstens zwei Mal erwähnt. Noch wenige Tage zuvor fiel B.s Name stakkatoartig in jeder Sekunde. Seine Exitstrategien, Wahnvorstellungen und Verschwörungspläne, seine Hürchen, Erpresser, Sexualpraktiken: 17 Jahre befanden wir uns in einer Endlosschleife, jede Zeitung, jeder Radiosender war von ihm verseucht, vom Fernsehen ganz zu schweigen. Im Netz arbeitete man sich an ihm ab, die Leitartikler konkurrierten um die prägnantesten AntiB.-Aphorismen. Was war zutreffender, das abgewandelte Marx-Zitat über Napoleon III. – „Nie hat ein Prätendent platter auf die Plattheit der Massen spekuliert“ – oder der Ausspruch des Journalisten Indro Montanelli, der Berlusconi für eine Krankheit hielt, von der die Italiener erst geheilt seien, wenn sie sich impfen lassen würden – durch eine ordentliche Dosis Berlusconi als Ministerpräsident und Berlusconi als Staatspräsident?

Als B. nicht nur einmal, nicht zweimal, sondern dreimal wiedergewählt wurde, obwohl die besten Investigativjournalisten unermüdlich Beweise für seine Mafiaverflechtungen, seine Richterbestechungen, seine Bilanzfälschungen, seine Offshore-Gesellschaften, seine Geheimlogen, seine 40 Ad-personam-Gesetze präsentierten – da waren viele Italiener davon überzeugt, dass Berlusconi so etwas wie Ebola sein muss.

Ich weiß noch, wie ich über ihn lachte, vor 17 Jahren. Über die Geschichte mit den Damenstrümpfen vor den Objektiven der Fernsehkameras, die ihn weicher zeichnen sollten, über seine hohen Absätze, darüber, dass er seine Partei wie einen Fußballklub nannte und im Wahlspot vor Bücherattrappen aus Holz saß. Aber schon als ich 1994 überall die blauen Forza-Italia-Fähnchen wehen sah, verging mir das Lachen. Kaum zwei Jahre zuvor waren die Staatsanwälte Falcone und Borsellino von der Mafia ermordet worden. Das letzte Interview, das Borsellino gegeben hatte, handelte vom wichtigsten Mann der Mafia in Mailand: dem Mafioso Vittorio Mangano, der in Berlusconis Villa als „Stallmeister“ gearbeitet hatte. Jahre später saß ich im Gerichtssaal, als der Mafiaprozess gegen B.s rechte Hand, den Forza-Italia-Gründer Marcello Dell’Utri lief, ich war dabei, als Demonstranten beim Anblick von B. riefen: „Witzfigur, stell dich endlich den Richtern“, und ich saß in seiner Satellitensiedlung Milano Due bei einer seiner Escortdamen auf dem Sofa. Und ertrug ihr Märchen vom Wohltäter.

Ihm verdanke ich, dass ich italienischer wurde, als ich es je erwartet hätte. Ich habe mich für ihn geschämt und ihn verflucht. Wenn B. aus den weißen Ledersesseln seines Höflings Bruno Vespa vor öffentlich-rechtlichen Fernsehkameras seine Lügen verbreitete, von den 1,5 Millionen Arbeitsplätzen, die er schaffen, und den Bestechungsgeldern, die er nie gezahlt haben wollte, dann war ich kurz davor, den Fernseher aus dem Fenster zu werfen. Und als ich ihn zum ersten Mal aus der Nähe sah – in einer Pressekonferenz, in die ich mich eingeschlichen hatte –, da dachte ich an John Malkovich in „Die zweite Chance“: Malkovich spielt darin einen Attentäter, der als Sponsor getarnt zu einer Wahlveranstaltung des Präsidenten geht.

Die Berlusconi-Jahre waren wie Hundejahre, sie zählen siebenfach. Ein gefühltes Jahrhundert lang quoll B. aus jeder Mauerritze, und als sei das nicht genug, mussten wir am Ende seiner langen Götterdämmerung ertragen, wie die Minister von seinen Gnaden, die Staatssekretäre seines Vertrauens, die Regionalpräsidenten, Oppositionsführer und sonstigen Lakaien, die Lega, der Vatikan, der Staatspräsident, die Chefredakteure der RAI, der „Repubblica“ und des „Giornale“ monatelang alle so taten, als wollten sie ihn endlich loswerden. Getreu der Devise des Fürsten von Salina in „Der Leopard“: „Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.“

Genau das ist jetzt die größte Angst. Nach dem Korruptionsskandal Anfang der neunziger Jahre haben sich die Italiener schon einmal so sehr für ihre käuflichen Politiker geschämt, dass sie sie mit Münzen bewarfen. Kurz darauf änderten sich zwar die Namen der Parteien, nicht aber die Gesichter. Der Wandel, der keiner ist, wird „Trasformismo“ genannt und hat hier eine lange Tradition. Italienische Politiker bleiben im Parlament sitzen, bis sie tot sind. Und manche sterben nie. Andreotti zum Beispiel.

An Untoten mangelt es im italienischen Parlament wahrlich nicht. Untote, die ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen werden. Im sogenannten Sparpaket ist keine Rede davon, die Diäten der Parlamentarier zu kürzen – der bestbezahlten Europas. Sie fliegen umsonst, fahren umsonst Zug, dürfen problemlos zwei Ämter auf einmal ausüben und genießen großzügige Pensionen auf Lebenszeit. Und Immunität: 70 Parlamentarier standen oder stehen vor Gericht, 25 sind bereits in letzter Instanz verurteilt.

Wie schon in den neunziger Jahren soll nun eine technische Regierung für den Übergang sorgen. Im Grunde ist das nichts anderes als eine Große Koalition – auf dass in Zukunft weder die Rechte noch die Linke wegen unpopulärer Maßnahmen um Wählerstimmen bangen müssen.

Aber B. kann nicht mehr verantwortlich gemacht werden. Nicht für die Zerstrittenheit der Linken, nicht für den Niedergang der Moral und der Kultur. So lange Berlusconi seine Opera buffa inszenierte, musste sich niemand die Mühe machen, Italien wirklich zu verstehen. Es ist ein erstarrtes Land, an dem wirtschaftlicher und kultureller Fortschritt seit Jahrzehnten vorbeiziehen. Ein Land, in dem sich die linke Opposition so kämpferisch gibt, als lebten wir noch in Zeiten der industriellen Revolution – dabei wird sie vom gleichen Zynismus getrieben wie ihre rechten Gegenspieler. Eine Linke, die es weder in den zwei Jahren der Prodi-Regierung noch in der Opposition schaffte, ein Gesetz gegen Berlusconis Verquickung von Medienmacht und politischer Macht durchzuboxen – die aber sofort dabei war, als ein strengeres Abhörgesetz auf den Weg gebracht wurde. Ein Land, in dem es der Mafia stets gelang, sich mit allen Politikern zu arrangieren. Ein Land, aus dem die Jugend flüchtet, weil Gewerkschaften und Rentner ihr die Zukunft gestohlen haben. Ein Land, im dem selbst Taxifahrer ihre Privilegien in Korporationen verteidigen.

Bald werden Sarkozy und Merkel nichts mehr zu lachen haben auf den europäischen Gipfeltreffen. Niemand wird mehr „Kuckuck“ rufen. Und den Auslandskorrespondenten ist eine Einkommensquelle abhandengekommen. Geschichten über B. waren immer eine sichere Bank.

Er wird uns fehlen.

Petra Reski lebt als Publizistin in Venedig. Zuletzt erschien von ihr: „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ (Hoffmann und Campe, 2010)

Petra Reski

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