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Kultur: Bestiarium des Meeres

Jeffrey Yang stellt seine Gedichte in Berlin vor.

Von Gregor Dotzauer

Wo die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur verläuft, steht nur für die Biologie unverbrüchlich fest. Die Poesie hat immer wieder an ihr gerüttelt. Sie hat Wasser und Stein besungen und beseelt – und die vitalistische Linie, die über Blume, Baum und Tier zum Menschen führt, nicht unbedingt als ermutigend empfunden. Schon der Kiesel, schreibt Zbigniew Herbert in einem berühmten Gedicht, „ist als geschöpf / vollkommen / sich selber gleich / auf seine grenzen bedacht / genau erfüllt / vom steinernen sinn / mit einem geruch der an nichts erinnert / nichts verscheucht keinen wunsch erweckt“. Wenn Fische der Dichtung unter allen Daseinsformen am fremdesten geblieben sind, dann weil sie in ihrem Fürsichsein einerseits nicht mehr vollkommen und andererseits der psychologischen Einfühlung noch nicht zugänglich sind. Unter der Vielzahl bekannter Tiergedichte gilt nur ein Bruchteil den Fischen, und keines ist so ikonisch wie Blakes „Tyger“ oder Rilkes „Panther“.

Jeffrey Yang, 1974 in Kalifornien geboren, füllt mit seinem alphabetisch geordneten Unterwasser-Bestiarium „Ein Aquarium“, das zusammen mit einem Band des Argentiniers Sergio Raimondi eine neue Lyrikreihe des Berenberg Verlags eröffnet, also eine Lücke. In seiner Taxonomie berücksichtigt er auch Stachelhäuter wie den Seestern, Kopffüßler wie den Octopus oder Säuger wie den Delfin: „Delfine waren einmal Menschen, / so die Griechen. Der Flussdelfin – / in China eine Göttin. / Nur ein paar Gene neu sortiert / und schon, laut Forschung / würden wir Delfine. Ein /wahrer Fortschritt wäre das!“

Die genetische Nähe verleitet Yang allerdings nicht zu anthropomorphen Beschreibungen. Seine Gedichte sind ganz und gar unpersönlich. Sie beerben Objektivisten wie George Oppen und Dingdichter wie den von Yang mehrfach zitierten Francis Ponge: jeder Text ein aus Lautmaterial, zoologischer Terminologie, philosophischem Gedankengut geborener und schillernd in sich verschlosser Mikrokosmos. Yang, schreibt Eliot Weinberger in seinem Vorwort, führt die US-Dichtung jenseits aller Ironie „auf ihre lyrischen und epischen Funktionen zurück. Episch: als ein Warenlager voller Informationen, gefüllt mit all dem, was eine Kultur von sich und der Natur, von den Göttern und anderen Menschen weiß. Lyrisch: als Feier und vernichtende Kritik zugleich, als Bewunderung der Welt und Empörung darüber, wie sie häufig ist.“ Yangs Bewusstseinsmeer wird durchkreuzt vom hinduistischen Vishnu und daoistischen Zhuangzi, aber auch von völlig unerwarteten Bewohnern wie Google, Intelligent Design oder den U.S. – letztere „ein kleiner Fisch / mit falschem Kopf, oder ein großer Fisch / mit falschen Schuppen; oder ein Traum / vom perfekten Fisch, / der zum Alptraum wird“. Gregor Dotzauer

Jeffrey Yang: Ein Aquarium. Gedichte. Englisch–Deutsch. Übersetzt von Beatrice Faßbender. Berenberg, Berlin 2012. 96 Seiten, 19 €. – Autor und Übersetzerin stellen den Band heute Dienstag um 20 Uhr in der Berliner Literaturwerkstatt vor.

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