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Biennale vs. Biennale: Die dezenten Konkurrenten

Hinterhof, Spätkauf, Laternenmast: Die Kreuzberg Biennale ist perfekt in den Kiez integriert - und nicht zu verwechseln mit der Berliner Biennale.

In einem Spätkauf in der Schönleinstraße hat der Besitzer den Fernseher zwischenzeitlich ausgeschaltet. Er könne den Loop nicht den ganzen Tag ertragen, außerdem die ganzen Menschen, die reinkämen, mit dem immer gleichen Satz, dass das doch eine alte Arbeit sei. „Keine Ahnung, kann schon sein“, sagt er dann, mit Kunst hat er nichts zu schaffen. Auf dem Getränkekühlschrank hoch oben steht der Fernseher, gezeigt wird das Video „Die Jagd“, inzwischen ein Klassiker des Konzeptkünstlers Christian Jankowski aus dem Jahr 1992. Man sieht, wie Jankowski ausgestattet mit Pfeil und Bogen einen Hamburger Supermarkt betritt, er erlegt Tiefkühlhähnchen und Toastbrot. Mit unbewegter Miene zieht die Kassiererin alle Waren, in denen noch die Pfeile stecken, über das Band. „Kannst ja immer anmachen, wenn einer reinkommt und es sehen will“, sagt Tjorg Douglas Beer zu dem Mann hinter dem Tresen. Er ist Künstler, Betreiber des Kneipen-Galerie-Hybriden Forgotten Bar, in dem Kunst immer nur einen Abend gezeigt wird – und nun auch Organisator der ersten Berlin Kreuzberg Biennale.

Nicht zu verwechseln mit der Berlin Biennale, die zeitgleich läuft und ebenso Kreuzberg als Ausstellungsort für sich entdeckt hat. Die Namensverwandtschaft sei dem Umstand geschuldet, „dass wir dadurch die Möglichkeit haben, sie in zwei Jahren wieder zu veranstalten“ – so formuliert es der Organisator. Aber natürlich sei es schön, wenn Besucher der anderen Biennale auch zu seiner kämen. Wie dem auch sei, fest steht: Das Motto der großen Biennale – „Was draußen wartet“ – würde auch sehr gut zu der kleinen Konkurrenzveranstaltung passen. Wenn nicht sogar besser.

Viele der mehr als 40 Arbeiten verschiedener Künstler sind auf der Straße zu entdecken. Klangvolle Namen stehen auf dem ausufernden Übersichtsplan: neben Jankowski auch Olaf Metzel, Terence Koh, Christoph Schlingensief, Klaus Mettig, Ilse Melsheimer oder Gregor Hildebrandt. Diese Ausstellung ist eine Schnitzeljagd durch den Bezirk. Sie führt hinaus aus dem Galerieraum, feiert die Unabhängigkeit: Es gab kein Budget, es gibt kein Aufpasserpersonal, keine Pressestelle, und wenn das Werk kaputtgeht oder zerstört wird oder geklaut, dann ist das eben so. Oder wird vom Künstler persönlich ersetzt. „Die Kreuzberg Biennale ist auch ein Geschenk an uns selbst“, sagt Beer, der wie viele andere Beteiligte im Kiez lebt und arbeitet. Eine Jamsession für bildende Künstler, ein Spiel, ein Spaß. Poetische Momente für Passanten.

Wer die Objekte nicht findet, weil sie so sehr mit ihrer Unauffälligkeit kokettieren, ruft einfach die Telefonnummer auf dem Plan an. „Steht doch drauf“, sagt Tjorg Douglas Beer, „for any questions“. Führungen gibt es auch zu den Parkbänken, Laternenmasten, Copyshops, Buchläden und Hinterhöfen. Mit Beer als Begleiter grüßt man nicht nur den halben Kiez, es fällt auch immer wieder eine kleine Geschichte ab, wie etwa jene vor der Glaserei in der Graefestraße: In der Auslage versteckt sich das Kristallgebirge von Isa Melsheimer. Die Künstlerin werde schon darauf angesprochen, dass es da einen Laden gebe, der ihre Arbeiten kopiere, erzählt Beer. Die Anekdote trifft den Kern des Konzepts: Hier kann man Kunst finden, die da ist und fast schon wieder nicht. Auf der Grenze zwischen Camouflage und Provokation. Zwischen Ayran und Yoga – so heißt das Motto der Biennale.

In der Oranienstraße steht ein Schaltkasten. Der Künstler Raul Walch benutzt ihn als Bartresen. Wenn er da ist, gibt es Getränke aus dem Laden hinter ihm. Aber wann genau er da steht, weiß nur er selbst. Die „Corner Bar“ existiert nur, wenn Walch sie zum Leben erweckt. Daniel Knorr hat den Oranienplatz etikettiert: „Öffentlicher Raum – ein Jahr Garantie.“ Franz Stauffenberg beklebt Mülleimer mit Dialogen von Investmentbankern. Antonie Renard veredelt ein altes Fahrrad mit einem Sitz, der aussieht wie ein geschliffener Edelstein. In der Auslage einer Buchhandlung hat Olaf Metzel eine Art Vorstudie zu seiner monumentalen Skulptur „Turbokapitalismus“ gelegt, die vor über zehn Jahren im Haus am Waldsee zu sehen war: Ein Bündel Zigarrenhülsen mit der Aufschrift „Independent“ – hier zwischen zwei Abhandlungen über Globalisierung. In einem Fachgeschäft für Aquarien laufen Tierfilme von Christoph Schlingensief, die die Kuratorin Anna- Catharina Gebbers zusammengestellt hat.

Wenn der Niederländer Marc Bijl einen Masten an der Ecke Wassertor- und Bergfriedstraße mit Klebeband umwickelt, dann ist das ein Minimaleingriff in den öffentlichen Raum. Und damit fast elitär. Denn nur wer die Codes kennt, die Programmzettel, die alle im Dunstkreis der Arbeiten hängen, erkennt auch die Kunst. Oder geht es darum gar nicht?

Ingo Gerken sammelt jeden Morgen auf dem Weg von seiner Wohnung in sein Atelier am Kottbusser Tor Dinge ein. Abfall, den Geschäfte hinausgestellt haben, Fundstücke vom Straßenrand. Seine Beute verändert er ein wenig, eine Papprolle bekommt rote Schlagbaumringel – und dazu üblicherweise den Hinweis aufgeklebt: Free. Dann stellt er das Ding zurück vor die Tür, zurück in den Kreislauf. Oft sind irgendwann die Teile weg, haben Gefallen gefunden bei einem Passanten. Ob sie wissen, dass sie ein Kunstobjekt mitgenommen haben?

Bis 31. Juli, Begleitprogramm mit Performances und Vorträgen, Informationen unter: www.berlin-kreuzberg-biennale.org. Führungen unter Tel.: 0178 / 294 26 75

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