zum Hauptinhalt
Starker Abgang von Dimiter Gotscheff mit seiner letzten Inszenierung "Zement".

© Armin Smailovic

Bilanz des Berliner Theatertreffens: Im wunderbaren Copy-Shop

Plagiate beim 51. Theatertreffen in Berlin? Warum es immer noch am sichersten ist, bei sich selbst zu klauen. Eine Bilanz.

Jetzt hat das böse P-Wort auch das Theater erreicht. Daniele Muscionico, eine Journalistin aus der Schweiz, hat abgeschrieben und ist, ertappt, sofort als Jurorin zurückgetreten. Ihr kleiner Text, in dem sie die Auswahl der Inszenierung „Reise ans Ende der Nacht“ von Frank Castorf im Theatertreffen-Magazin begründete, war teilweise dem Programmheft des Münchner Residenztheaters entnommen. Und dann noch dies: Alain Platel, der belgische Choreograf, wurde von dem brasilianischen Kollegen Ricardo de Paula des Plagiats beschuldigt. Der Belgier Platel war mit dem Stück „Tauberbach“ eingeladen, das auf einem brasilianischen Dokumentarfilm beruht – der einem Stück von de Paula ebenso zugrunde lag.

Skandale? Nicht einmal Skandälchen. Aber hier hat das 51. Berliner Theatertreffen, wenn auch unfreiwillig, grundsätzliche Fragen des zeitgenössischen Theaterbetriebs aufgeworfen. Zum Beispiel wie es dazu kommt, dass ein Dramaturg einen Text über den französischen Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline verfasst, der ohne Weiteres als journalistisch-kritischer durchgehen konnte. Da nähert sich etwas einander an.

Und Castorf? Es war nicht sein erster Céline, und auch sonst sah fast alles wieder einmal so aus wie immer. Die vermüllte Drehbühne. Das Videogewackel. Das Geschrei der Schauspieler. Castorf hat Castorf hat Castorf hat Castorf kopiert – und wurde zum Theatertreffen eingeladen. Aus München. Wo er doch Intendant in Berlin ist, an der Volksbühne, dem größten und erfolgreichsten Copy-Shop des europäischen Theaters in den letzten beiden Jahrzehnten. Aber bei Künstlern nennt man das: Handschrift. Und nicht zu Unrecht. Wenn andere, jüngere Regisseure mit einer solchen Handschrift, einem Stil in Berührung kommen, nennt man es Inspiration, Schule, Epigonentum. Doch nicht: geklaut.

Das "Originale" verliert dramatisch an Bedeutung

Der Stuttgarter „Onkel Wanja“ in der Regie von Robert Borgmann könnte so ein Fall sein. Da steckt einiges an Castorf drin, manches auch von Armin Petras, dem Stuttgarter Intendanten, der frisch aus Berlin vom Maxim-Gorki-Theater zu den Schwaben gekommen ist. Dieser „Wanja“ hatte mächtigen Weltekel, nachvollziehbar, aber auch nicht viel mehr.

Noch einmal zu Plagiat und Platel: Wenn Regisseure und Choreografen, die weitgereisten, die vielbeschäftigten, aus Filmen und Romanen schöpfen, also eher theaterfernen Medien, bleiben die Überschneidungen nicht nur nicht aus, sie sind programmiert. Bei der Masse von Festivals und Produktionen, bei der herrschenden Festivalhektik und Produktionspanik, bei dem Kreativitätsdruck verliert der Begriff des Originalen an Bedeutung – dramatisch.

Sidi Larbi Cherkaoui, Platels Landsmann und momentan wohl der erfolgreichste Choreograf weltweit, scheint seine Stücke nach Suchbegriffen zu bauen. Nicht in Berlin beim Theatertreffen, sondern in Wolfsburg beim „Movimentos“-Festival zeigte er jetzt einen Abend mit argentinischen Tangotänzern. Zuvor hatte er Shaolin-Mönche und Manga-Zeichnungen auf die Bühne gebracht, am Ende wird es alles eins. Ideen, Gedanken sind stets abrufbar, es herrscht das egalistische Prinzip des Internet. Und dann sieht ein Platel mit einer obskuren Story aus Brasilien, die auf einem Kleiderberg spielt, plötzlich aus wie eine Auschwitz-Szenerie: geschmacklos.

Was, wenn alle Tabus gebrochen sind?

Vor diesem Hintergrund der globalisierten, entleerten Bilder waren „Die letzten Zeugen“ aus Wien das Anti-Theater. Schauspieler des Burgtheaters lesen Erinnerungstexte jüdischer Menschen, die in Vernichtungslagern der Deutschen überlebt haben. Diese Menschen sitzen, hoch betagt, hellwach, hinten auf der Bühne, es ist ihr Leben und das Sterben all der anderen, der Millionen, was sich hier in Worte fasst, unfassbar bleibt. Als das Haus der Berliner Festspiele noch die Freie Volksbühne war, inszenierte Peter Zadek 1984 an dieser Stelle Joshua Sobols „Ghetto“ – als Musical. Was zu harten Debatten damals führte, ob man so etwas darf. Heute gibt das Theater kaum Diskussionsstoff. Aber was soll man machen, wenn die Tabus gebrochen, die Grenzen überschritten sind? Man arbeitet dokumentarisch, gegen die Zeit, man hört den Zeugen zu. Eine grundlegende Erfahrung.

Mit einem neuen Trend war das Publikum nicht konfrontiert auf diesem Theatertreffen. Aber mit einem Phänomen, das schon etwas länger zu beobachten ist: dem Eine-Idee-Stück. In diese Reihe stellte sich aus Zürich „Amphitryon und sein Doppelgänger“. Die Regisseurin Karin Henkel hatte diese eine Idee: Wir befinden uns auf einem Filmset und kommen mit Kleists Verwechslungskomödie durcheinander. Aber nicht zu heftig. Eine brave Sache am Ende.

Und auch das viel gelobte „Fegefeuer in Ingolstadt“ in der Regie von Susanne Kennedy war ein one trick pony. Die Schauspieler stehen in einer Box, verkrümmt und (seelisch) verkrüppelt, und der Text kommt fast komplett vom Band. Playback Marieluise Fleißer. Mit etlichen Blackouts, atemlos. Die katholisch-provinzielle Herkunft, der schwere Boden, aus dem Gewalt und Hass sprießen: Das muss man sich dazudenken.

Das Eine-Idee-Stück bleibt stets in seinem Rahmen. Figuren entwickeln sich nicht. Es wird ein Zustand dargestellt, eine Conditio, ohne die es zwar nicht geht, die aber auch schon ein Endpunkt ist. Herbert Fritschs Entertainer passen auch hier hinein – und wieder nicht. Denn sein „Ohne Titel Nr. 1“ hatte nie eine Bedeutung, eine Dramaturgie, eine Geschichte, die vor unseren Augen skelettiert wird. Fritsch ist schon am Nullpunkt angekommen, wo andere noch nach Resten von Wichtigkeit und Aktualität etc. suchen. Jetzt ist er auch wieder frei, einen großen Text anzugehen.

Und wie passt „Zement“ in dieses graue Bild, die letzte Inszenierung von Dimiter Gotscheff vor seinem Tod? Was hat Heiner Müller uns noch zu sagen? Dieses: Es gab einmal Dramatiker. Es gibt Theater mit Text. Mit Pathos. Mit historischem Bewusstsein. Es ist ungewohnt, wie ein Findling. Die Eröffnung mit der Aufführung vom Münchner Residenztheater war dann schon der Höhepunkt. Ein sehr vorzeitiger. Nicht schön, wenn er so schnell kommt, aber immerhin. Ein starker Abgang von Gotscheff. Sein Vermächtnis verströmt Kraft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false