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Kultur: Bilder im Wind

Abdelwahab Meddebs huldigt einem Sufi

Der Symbolist Stéphane Mallarmé widmete seinem Kollegen Paul Verlaine 1897 eines seiner hermetischen Grabgedichte, den „Tombeaux“. Der Lyriker und Essayist Abdelwahab Meddeb, 1946 in Tunis geboren, bezieht sich mit seinem Gedichtzyklus „Ibn Arabis Grab“ ausdrücklich auf Mallarmés Verfahren; ohnehin genießt der Verfechter einer „reinen Poesie“ große Wertschätzung in der arabischen Welt. Meddeb macht die „reine Poesie“ als Geste der Verehrung für einen Mystiker des Mittelalters fruchtbar: für Ibn Arabi (1165-1240), einen sufistischen Gottsucher. Er stammte aus Andalusien, das für Angehörige der spirituellen Elite den Traum eines europäischen Arabiens symbolisiert.

Von religiösen Traditionalisten bis heute als Ketzer und irrationaler Schwärmer angegriffen, von seinen Anhängern als „Größter Meister“ tituliert, verfasste Ibn Arabi einen Zyklus von 61 Oden, den „Dolmetsch der Sehnsüchte“. In diesem Buch, das schon Dante inspirierte, betet er die entschwundene Nidam an, die ihm auf einer Pilgerfahrt nach Mekka begegnet war. Bei Meddeb spiegelt sich Nidam in Aya, um die herum der Erzähler ein Feuerwerk der Stimmungen und Farben abbrennt, in 61 Prosagedichten, jeweils einen atemlosen Satz lang.

Meddeb steht wie Adonis oder der Marokkaner Abdallah Zrika für eine Dichtkunst der Überraschungen, der Revolte und des Schwindels nahe an der Verrücktheit. Der Sohn einer Gelehrtenfamilie, der auf Französisch schreibt und an der Sorbonne lehrt, ist ein berufener Vermittler zwischen Orient und Okzident: So wie er im fesselnden Singsang des Korans einen weiß-blauen Waschtag seiner tunesischen Kindheit vergegenwärtigt, so analysiert er hellsichtig „Die Krankheit des Islam“. Ibn Arabi, sagte Meddeb kürzlich in einem Interview, habe ihm gezeigt, dass islamische Tradition und europäische Moderne keine unüberbrückbaren Gegensätze seien. Dennoch lässt sich „Ibn Arabis Grab“ als poetische Verlustanzeige lesen, aufgegeben im rationalistischen Abendland: „Die Wege des Exils, sie führen ins westliche Land, ich gehe über ein weißes Leichentuch, das den Boden bedeckt, die inneren Bilder trocknen im Wind, ich wische die Buchstaben aus, die ich schrieb, in verborgene Hefte, im Geheimsten meines Herzens.“

Dieses Buch bestellen Abdelwahab Meddeb: Ibn Arabis Grab. Arabische Nachdichtung von Mohammed Bennis, deutsch von Hans Thill. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2004. 147 S., 22 €.

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